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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Wind mit der Krempe seines Huts, ließ die nasse, lange Feder träge hin und her schwingen.
    »Grüß deine verehrte Frau Mutter von mir! Ich hoffe, sie freut sich über deine Heiratspläne und es geht ihr gut«, rief er ihr zu und zog an den Zügeln, sein Ross zu wenden und fortzureiten.
    »In jedem Fall geht es ihr besser als deiner«, gab sie brüsk zurück.
    Mitten in der Drehung riss er sein Pferd noch einmal herum. »Was fällt dir ein, so von einer Toten zu reden?«
    »Wieso von einer Toten? Deine Mutter lebt doch.«
    Kaum hatte sie die letzten Worte ausgesprochen, sah sie, wie seine ohnehin schon helle Gesichtshaut nahezu weiß wurde. Die riesige Nase schob sich noch spitzer aus dem langen Gesicht, die dunklen Augen fielen tief in die Höhlen zurück. In dem blauen Waffenrock wirkte er plötzlich wie der Geist eines kurfürstlichen Soldaten. Besorgt trat sie an ihn heran, schob den Kopf des ungeduldig schnaubenden Pferdes beiseite und streckte die Hand zu ihm hinauf. Sie wollte ihn berühren, spüren, dass noch ein Funken Leben in ihm steckte.
    »Wusstest du das nicht?«, fragte sie leise. »Ich dachte, du verrätst mir, wo wir Tante Adelaide finden können? Mutter und ich versuchen seit Jahren, Kontakt zu ihr aufzunehmen.«
    »Red keinen Unsinn! Meine Mutter ist tot. Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie sie getötet wurde.« Die schmalen Lippen verzogen sich zu einem gequälten Lächeln. Abermals riss er sein Pferd an den Zügeln, pustete Schneeregen von der Oberlippe weg. Sobald es sich umgewandt hatte, gab er ihm die Sporen und stürmte seinen Kameraden durch die enge Gasse zum Schmiedetor nach.
    »Willst du mir nicht endlich sagen, wer das war?« Christoph stieß sie sacht an.
    »Was?« Sie fuhr herum. Es war ihr, als erwachte sie aus einem bösen Traum. Sie wollte sprechen, es ihm erklären, aber sie brachte keinen Ton heraus. In Christophs Augen flackerte Unmut. Längst hatte er den Ernst der Lage begriffen.
    »Verzeih«, sagte sie bestimmt, »ich kann jetzt unmöglich in die Schmiedegasse gehen und mit deinem Vater sprechen. Ich muss sofort nach Hause zu meiner Mutter. Sie muss wissen, was geschehen ist.«
    Bevor er sie zurückhalten konnte, schlang sie den Schal höher vors Gesicht und stürzte davon, westwärts der Langgasse zu, in das dichter werdende Schneegestöber hinein.

Zweiter Teil A
    Der Verrat
    Königsberg
    Winter 1662
    1
    D as Warten behagte Carlotta ganz und gar nicht. Wie gern wäre sie gleich beim Eintreten die beunruhigende Nachricht von Mathias’ Auftauchen losgeworden. Bestimmt hätte Magdalena einen Rat gewusst. Doch leider hatte sie die Mutter nicht angetroffen. Weder konnte ihr jemand im Haus Genaueres sagen, wohin sie gegangen war, noch, wann sie zurückkommen würde. Unablässig blies der Wind ums Haus, pfiff durch die Ritzen, rüttelte an Fenstern und Türen. Das stete Ticken der Uhr auf dem Wandbord gemahnte an das Verrinnen der Zeit, auch wenn das Leben im Haus nahezu zum Stillstand gekommen schien. Nur gelegentlich war ein zaghaftes Geräusch zu vernehmen, das auf das brave Wirken der Schreiber im Kontor und das umsichtige Werkeln von Hedwig und Lina in der Diele schließen ließ. Carlotta sah zur Uhr. Es war weit nach drei. Wo Magdalena nur steckte?
    Sie trat ans Fenster und sah in die düstere Nachmittagsstimmung hinaus. Nur wenige Menschen waren in der Langgasse unterwegs. Das garstige Wetter sowie die Angst vor dem neuerlichen Auftauchen der kurfürstlichen Dragoner hielten die Kneiphofer in den Häusern. Carlotta lehnte die Stirn gegen die kühle Scheibe und hauchte erschöpft den warmen Atem darauf. Gleichzeitig versuchte sie, die furchtbaren Bilder des Vormittags in ihrem Kopf niederzuringen. Es nützte nichts. Immer wieder sah sie die hoch zu Ross in den Kneiphof eindringenden Soldaten vor sich, die rücksichtslos die beiden Passanten niederritten.
    »Pass mit dem Fenster auf, Liebes!« Schnaufend schob sich Hedwig in die Stube. »Sonst fängt Lina wieder an, mit den kostbaren Zitronen darauf herumzuscheuern. Oft können wir uns solche Putzaktionen nicht leisten, selbst wenn die Geschäfte weiter gutgehen.«
    Sie stellte sich neben Carlotta und starrte eine Zeitlang ebenfalls stumm nach draußen.
    »Du machst dir Sorgen, wo deine Mutter bleibt, nicht wahr?«
    »Meinst du, ihr ist etwas zugestoßen?« Carlotta knetete die Finger, bis sie schmerzten. Schon sah sie die schlimmsten Bilder vor ihrem inneren Auge vorüberziehen: die Mutter blutüberströmt irgendwo in

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