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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Warnung.
    Am Morgen hatte Cara ihr nach dem Frühstück einen weißen Briefumschlag gegeben, den Simon Vine gebracht hatte und auf dem in schwarzer Schrift stand: Miss Lucy Cardwell. Darin befand sich eine kurze Notiz auf dickem Zeichenpapier, in der ihr vorgeschlagen wurde, am Nachmittag um drei Uhr Beatrice Ashton aufzusuchen.
    Es war fünf vor drei. Als Lucy die Gartenpforte aufstieß, fand sie sich in einem lauschigen Garten wieder. The Rowans war ein schönes, auf einer Seite freistehendes Haus mit einer weiß und blau getünchten Fassade und einem geschlossenen Glasvorbau. Beete mit safrangelben, indigoblauen und porzellanweißen Frühlingsblumen zierten eine gepflegte Rasenfläche.
    »KEINE HAUSIERER, KEINE UNANGEMELDETEN BESUCHER« stand auf einem Aufkleber an der Tür. Unter einem längs unterteilten, runden Fenster und einem kleinen Spion fletschte ein eiserner Löwenkopf die Zähne. Lucy hob den Ring in seinem Maul an, klopfte mehrmals und wartete.
    Die Tür rappelte und öffnete sich dann einen Spalt, durch den ein Paar braune Augen in einem faltigen Gesicht spähten. Die gebrechliche Hand, die den Türpfosten umfasst hielt, war mit Juwelen reich geschmückt.
    »Lucy Cardwell, richtig?« Die Stimme der Frau war melodisch und kraftvoll. Die Konsonanten sprach sie perfekt aus.
    »Ja.«
    Beatrice öffnete die Tür, um sie einzulassen.
    »Ich freue mich, dass du pünktlich bist. Diese Tugend ist heute nicht mehr sehr in Mode.«
    »Ich danke Ihnen, dass Sie mich empfangen«, sagte Lucy höflich.
    Beatrice Ashton schloss die Tür und lehnte sich dagegen, während sie Lucy musterte – nicht unfreundlich, sondern neugierig. Sie war kleiner als Lucy und schmächtig. Ihr gewelltes silberweißes Haar war hinten mit einer Goldspange hochgesteckt. Sie hatte ein ernstes, ovales Gesicht mit gleichmäßigen Zügen und einem spitzen Kinn. Lucy hatte das vage Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben.
    Im Flur war es düster. Nur eine schwache Deckenlampe mühte sich, die dunkle Holzvertäfelung und den schäbigen Teppich zu beleuchten. Hier drinnen konnte man kaum glauben, dass draußen die Sonne schien. Aus dem Schatten der Treppe gab eine Standuhr drei triste Schläge von sich.
    »Hier hinein.« Mit langsamen Bewegungen führte Mrs Ashton Lucy zu einem gemütlichen Wohnzimmer, wo im Kamin ein Feuer brannte. Mrs Ashton ging hinein und blieb vor den Terrassentüren stehen. Der Garten hinter dem Haus war eine regelrechte kleine Wildnis – dahinter erhob sich der Berghang, und den verbleibenden schmalen Himmelsstreifen bedeckten die Kiefern mit den Nestern der Saatkrähen. Auf der Terrasse flatterten ein paar Amseln in einer Vogeltränke herum und ließen mit ihren Flügeln ringsum das Wasser hochspritzen.
    »Ich habe diese albernen Geschöpfe beobachtet«, sagte Mrs Ashton und lächelte. »Sie spielen sich für uns auf, diese kleinen Nichtsnutze.« Sie klopfte leicht gegen das Fenster, und die Vögel schreckten auf. Da sie aber keine Gefahr erkennen konnten, nahmen sie ihr Spiel wieder auf. »Sie wissen, dass sie ein Publikum haben. Wir haben immer ein Publikum, nicht wahr?«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Lucy.
    »Es gibt immer jemanden, der uns beobachtet und kritisiert.«
    Ein schmaler Streifen des nachmittäglichen Lichts fiel auf Mrs Ashton, die immer noch die Vögel beobachtete, und Lucy ertappte sich dabei, dass sie genau das tat, was die Frau angeprangert hatte: Sie musterte sie kritisch. Mrs Ashton musste sehr alt sein, auf die neunzig zugehen. Sie war gut gekleidet. Sie trug eine blassblaue Kaschmir-Strickjacke und eine hellgraue Hose. Ihre gesprenkelten Nägel waren mit Klarlack überzogen und glänzten. Ein Hauch von Puder und ein zartrosa Lippenstift vervollständigten den gepflegten Eindruck.
    Mrs Ashton wandte sich zu Lucy um, die einen blumigen Duft auffing. Es war, als öffnete sich ein Tor zu einer vergangenen Welt – einer Welt goldener Sommernachmittage und Teegesellschaften auf dem Rasen.
    »Du erinnerst dich nicht an mich, nicht wahr?«, fragte Mrs Ashton.
    »Nein. Obwohl …«
    »Macht nichts«, sagte die Frau wie zu sich selbst.
    »Wohnen Sie schon lange in diesem Haus? Mr Vine hat mir erzählt, dass Sie als Kind in Saint Florian gelebt haben.«
    Lucy sah sich im Raum um. An den Wänden hingen Drucke mit englischen Landschaften. Vor dem bemalten Kaminsims stand ein Paar ausgeblichener Sessel. Auf einem Beistelltisch lag neben einem Brillenetui der Daily Telegraph , der so gefaltet war, dass

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