Das Bildnis der Novizin
zugeschnürt, er bekam kaum noch Luft. Rasch rechnete er nach, erinnerte sich an Lucrezias ohnmächtige Gegenwehr, an ihren Schmerzensschrei, als er in sie eindrang. Es war möglich. Er konnte es nicht verleugnen. Stolz über seine Virilität flammte in ihm auf. Doch der Gedanke verschwand sofort wieder, und zurück blieb nur der Schrecken über diese Möglichkeit.
Aber für Mitleid war hier kein Platz. Das Weib hatte es so gewollt. Sie hatte sich als Hure erwiesen, indem sie in Sünde lebte.
Er richtete sich auf, strich seine kostbaren Ordensgewänder glatt. Schlimm genug, dass das Weib ihn und das Kloster beschämte, aber ein schwangerer Bauch, den ganz Prato sehen konnte, das war zu viel. Der Mönch mochte ja unter dem Schutz des mächtigen Cosimo stehen, aber diese Hure trug noch immer das Habit einer Augustinerin. Sie stand unter seiner Kontrolle.
Der Generalabt dachte über seine nächsten Schritte nach, während ihm der Geruch verbrannten Pergaments in die Nase stieg. Er allein wusste, was das Beste für den Orden war. Und er würde tun, was zu tun war: für ihn selbst, für Santa Margherita und für den heiligen Orden des Augustinus.
Die Gerüchte über Lucrezias Schwangerschaft nahmen nicht ab, und plötzlich herrschte reger Verkehr vor dem Haus des Malers. Jeder wollte einen Blick auf die schwangere Madonna werfen. Lucrezia war schließlich gezwungen, das größte Tuch, das sie besaßen, vor das große Atelierfenster zu hängen, das zur Straße hinauswies. Das Tuch war rot und tauchte das Innere der Werkstatt in ein rosa Licht, das Lucrezia unter anderen Umständen entzückt hätte.
Gelegentlich kam eine der Wollwirkerfrauen vorbei und klopfte scheu an ihre Tür, um sich nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen. Nicoletta kam im Auftrag von Signora de Valenti jede Woche vorbei und brachte eine Kleinigkeit – einen Obstkorb oder ein paar frische Brötchen. Doch die weitaus meiste Zeit war Lucrezia allein, während Fra Filippo an den Fresken im Stefansdom arbeitete. Allein saß sie im rosa Licht der Werkstatt und tat, als würde sie die Leute draußen nicht hören.
»Vielleicht ist es ja ein Schuldbekenntnis«, vermutete ein Wollwalker, als er und sein Kollege eines Morgens, die Werkzeuge über der Schulter, an dem rot verhängten Atelierfenster vorbeigingen. Doch als sie gegen Abend auf dem Rückweg wieder vorbeikamen, war das Tuch verschwunden. Fra Filippo hatte es abgehängt, um im Licht der Nachmittagssonne malen zu können.
Nun begannen die Vorbeigehenden zu spekulieren, was es wohl mit dem roten Tuch auf sich habe, das anscheinend ohne erkennbare Logik auftauchte und dann wieder verschwand. Ob es eine Botschaft war oder ein Zeichen?
»Vielleicht ist es rot, um uns wissen zu lassen, dass sie das Balg verloren hat«, vermutete eine alte Kaufmannsgattin, die davon überzeugt war, dass der Teufel in der Werkstatt des Malers Einzug genommen hatte.
»Oder es soll den bösen Blick abwehren«, vermutete eine andere.
»Oder den Teufel willkommen heißen«, krächzte eine alte, gebeugte Lumpensammlerin, die aus den alten Stoffen Stricke drehte und diese dann verkaufte.
Einige bekreuzigten sich, wenn sie am Haus des Malers vorbeigingen, einige wenige spuckten aus, andere hinterließen kleine Gaben für die schwangere Madonna. Lucrezia ertrug die unwillkommene Aufmerksamkeit so unerschütterlich, wie sie konnte. Sie straffte die Schultern und versuchte so wenig wie möglich aus dem Fenster zu schauen.
»Mit der Zeit werden sie uns wieder vergessen«, versuchte sie der Mönch zu trösten. Erst heute früh hatte jemand einen kleinen Korb brauner Eier vor ihre Tür gestellt, sehr zu Lucrezias Freude. Fra Filippo erinnerte sie daran, dass in einer Stadt, in der so viel Leben herrschte, wo Geburt, Tod, Krankheit und Gesundheit Hand in Hand gingen, die lüsternen Augen der Neugierigen bald etwas Anderes finden würden, woran sie sich weiden, die bösen Zungen bald etwas anderes, worüber sie herziehen konnten.
»Ja, du hast recht«, lächelte Lucrezia. »Und wenn wir endlich aus Rom gehört haben, werden wir uns nicht länger verstecken müssen«, fügte sie tapfer hinzu.
Sie verlor erst ihre Fassung, als sie eines Tages Paolo vorbeigehen sah.
»Komm rein und erzähl mir, wie es Rosina im Kloster gefällt«, rief sie ihm zu.
Paolo ließ den Kopf hängen und rührte sich nicht von der Stelle. Sie nahm rasch ein Umhangtuch vom Haken und eilte zu ihm auf die Straße hinaus. Sogleich richteten sich die Blicke
Weitere Kostenlose Bücher