Das Bildnis der Novizin
ablasen.
Behutsam hob sie das erste Kind aus seiner Krippe. Weicher roter Flaum bedeckte sein Köpfchen. Ein kurzer Blick in die Windel bewies, dass es ein Mädchen war. Sie gab der Kleinen einen Kuss auf die Stirn und legte sie wieder in die Wiege zurück. Dann hob sie das zweite Kind heraus, wartete, bis sein Urinstrahl erloschen war, und drehte es dann um. Nein, kein Muttermal.
»Bitte, heilige Maria, Muttergottes, lass dies das Kind sein«, betete sie, während sie das letzte Neugeborene, einen großen, kräftigen Knaben, heraushob. Mit wild klopfendem Herzen dachte die Nonne an die hünenhafte Gestalt des Malers. Die Hinterbacken dieses Kleinen hatten schon jetzt zwei ausgeprägte Grübchen, doch davon abgesehen war seine Haut ungezeichnet.
Es war nicht das Kind, nach dem sie suchte.
Die Sonne war noch nicht untergegangen, als Schwester Pureza ins Kloster zurückkehrte und sofort in ihren Garten ging. Rosina hatte die abgeschnittenen Kreuzdornzweige zu einem sauberen Haufen geschichtet. Aus der Küche wehte der Geruch von gedünsteten Bohnen. Erschöpft und entmutigt nahm die Alte eine Gartenschere zur Hand, um ihre angefangene Arbeit zu vollenden.
Sie hatte alles getan, was sie konnte, war jedem Hinweis gefolgt. Und doch war es nicht genug. Lucrezia hatte recht: Das Kind brauchte sie jetzt. Je mehr Zeit verstrich, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass man es noch weiter wegbrachte. Und desto unwahrscheinlicher wurde es, den Knaben noch zu finden.
»Muttergottes«, betete Schwester Pureza. »Hilf mir, alles wieder in Ordnung zu bringen.«
Sie legte die Gartenschere weg und ging unruhig im Garten umher. Ihre alten Finger strichen über den saftig grünen Basilikum, über die lila Lavendelspitzen, die hoch und dicht wuchsen. Ja, der Lavendel hatte sich in den Jahren, seit sie die Pflege des Gartens übernommen hatte, prächtig entwickelt.
Und dann hatte sie eine Idee.
Ja, die Alte nickte und neigte dankbar das Haupt. Sie ließ sich von der warmen Augustbrise streicheln und atmete tief den betörenden Duft des Lavendels ein.
Als Fra Piero am nächsten Morgen kam, um die Messe zu lesen, fing ihn Schwester Pureza ab und zog ihn in ihren Garten. Sie hatten seit seinem ersten Besuch bei Lucrezia nicht mehr miteinander gesprochen. Damals war sie einfach zu wütend gewesen, um versöhnlich zu sein. Aber in der Zwischenzeit hatte sie beschlossen, ihren Fehler wiedergutzumachen und das Kind zurückzuholen. Sie hatte das deutliche Gefühl, dass der Prokurator nur auf ein Zeichen von ihr wartete.
Mit aufmerksamer, wacher Miene hörte er ihr zu, die Augen voller Mitgefühl.
»Ich habe alles getan, was mir einfiel«, erklärte sie. »Aber es war vergeblich. Der Generalabt und der Propst sind mächtige Männer. Nur Gott selbst oder die Heilige Jungfrau können sie dazu bewegen, das Kind zurückzugeben.«
Der Prokurator nickte. Ob er die Alte überschätzt hatte? Sein Blick schweifte durch den Garten. Es roch nach Lavendel und nach Thymian, der auf den Steinen in der Sonne zum Trocknen ausgelegt war.
»Bald findet das Fest des Heiligen Gürtels statt, und die Augen von ganz Prato werden auf der Reliquie ruhen. Ich habe nachgedacht, habe viel gebetet und ich glaube, dass uns die Jungfrau und ihr Gürtel vielleicht das Wunder bescheren könnten, das wir brauchen.«
Sie überzeugte sich mit einem Blick, dass sie ungestört waren, und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern.
Fra Piero beugte sich näher. Er hörte zu. Sein Kopf schwirrte, seine Gedanken rasten. Er zwang sich, ruhig zu bleiben, sich im Geiste den Kirchenraum vorzustellen, die Apsis, das Hauptschiff, den Kapellenkranz. Er dachte an die zunehmend fieberhaften Festvorbereitungen. Er hatte in letzter Zeit ein wenig mehr Zeit im Dom verbracht als gewöhnlich und hatte Propst Inghirami mehrmals mit dem jungen Marco zusammen gesehen, hatte heimlich beobachtet, wie sie in der Treppe verschwanden, die vom Glockenturm zur Krypta hinunterführte.
»Ja, ich glaube, da kann ich helfen«, sagte er langsam. Ein vergnügtes Funkeln trat in seine Augen. »Ja, wenn du mir ein, zwei Tage Zeit lässt, dann kann ich, glaube ich, besorgen, was du brauchst.«
Lucrezia döste vor sich hin, als sie die Schritte von Schwester Pureza hörte. Sie schlug die Augen auf und sah die alte Nonne neben ihrem Bett stehen. Wie immer brachte sie die Düfte des Gartens mit.
»Lucrezia, ich weiß, wie sehr du leidest.« Die Alte hielt ihr ein kleines Fläschchen hin. »Das ist
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