Das Bildnis der Novizin
Entwürfen für das Klosterbild fertig zu werden. Er musterte das Pergament: die Übergabe des Heiligen Gürtels an den knienden Thomas. Er konnte sehen, wie schön das Bild werden würde, in das er all seine Reue und Inbrunst gelegt hatte. Die Jungfrau, wunderschön in ihrem herrlichen offenen Mantel, vor ihr der heilige Thomas, den grüngoldenen Gürtel in Händen. Die Äbtissin war ebenso abgebildet, in ihrem schwarzen Habit, mit verkniffenen Zügen und fest ineinander verwobenen Händen, neben ihr die Heiligen Margarete, Gregor, Augustinus und zwei andere. Die Jungfrau, zu deren Ehren er das Bild schuf, würde spektakulär werden. Und die Heilige Margarete, die Namenspatronin des Klosters, würde Lucrezias Züge erhalten.
Die Pläne für dieses Bild hatten ihn zunächst vollkommen gefangen genommen, er hatte all seine Kraft und Inbrunst in seine Gebete und seine Arbeit gelegt. Doch nun kehrte sein Auge wieder und wieder zum Bild für die Medici zurück. Er konnte sich nicht länger vor dem Emissär verstecken.
Fra Filippo trat näher an das Bild heran, studierte seine schöne Madonna, die anbetend im Wald kniete: Lucrezias Gesicht, das herrliche, purpurne Gewand, das Haarnetz aus zarten Perlen, das Lucrezia einst für ihn angelegt hatte. Die Jungfrau blickte ihr Kind mit einem sanften Lächeln an, und das ganze Licht der Welt schien aus ihrer schimmernden Haut zu leuchten. Hinter ihr, in der Tiefe des Waldes, stand die große Ulme, deren Stamm von einer Rebe umrankt war, und auf dem Boden unter den Bäumen sprossen zartlila Blüten.
Nur das Gesicht des Kindes fehlte noch.
Vor einem Jahr hatte er nach dem Gesicht seiner Madonna gesucht und der Herr hatte es ihm gezeigt. Jetzt sehnte er sich nach dem Gesicht seines Sohnes. Ser Francesco konnte mit einer Armee Soldaten vor seiner Tür auftauchen, konnte ihn eigenhändig verprügeln, aber solange Lucrezia noch im Kloster und sein Sohn verschwunden war, konnte Fra Filippo dieses Altarbild nicht fertigstellen. Er konnte keinen Säugling malen, bevor er nicht das Gesicht seines Sohnes gesehen hätte.
»Filippo, gute Nachrichten, dem Herrn sei Dank!«
Der Mönch fuhr herum. Fra Piero stand auf der Türschwelle. Sein Gesicht war gerötet, und er grinste sein schiefes Lächeln.
»Ich komme soeben aus dem Kloster. Dein Sohn ist wieder da! Er ist stark und gesund …«
»Gesund? Mein Sohn?« Fra Filippo war nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. »Mein Sohn ist wieder da?«
»Ja, seit heute früh. Mutter und Kind sind wieder vereint.«
»Ich muss ihn sofort sehen.«
Der Mönch wollte sich am Prokurator vorbeidrängen. In seiner Vorstellung sah er bereits das idyllische Bild von Mutter und Kind.
»Moment!« Der Prokurator hob den Arm.
»Was ist?« Fra Filippos Gesicht verdüsterte sich. »Stimmt was nicht? Hast du mir etwas verschwiegen?«
»Die Äbtissin erlaubt nicht, dass du die beiden vor aller Augen abholst. Du musst warten bis zur Feier, wenn Lucrezia und das Kind allein im Kloster sind. Dann kannst du sie mit nach Hause nehmen.«
In einer weißen Kutte, die dringend gewaschen gehörte, kehrte Fra Filippo in seine Werkstatt zurück. Er wickelte seine kostbaren Bilder in einen alten Vorhang und verstaute sie sorgfältig in einer Ecke. Dann machte er sich auf den Weg zum Marktplatz.
Selbst wenn er mit Lucrezia und dem Kind aus Prato fortginge, brauchten sie dringend ein paar Sachen: eine Krippe, Windeln und Tücher, ein Kissen für Lucrezias Stuhl, ein Stückchen Bernstein, das dem Kind um den Hals gehängt wurde, um böse Geister fernzuhalten. In der Hoffnung, seine paar Silbermünzen würden noch dafür reichen, eilte der Maler durch die belebten Straßen. Schon jetzt waren jede Menge Besucher zur Feier eingetroffen.
Vorher jedoch galt es, einen kleinen Abstecher in den Dom zu machen. Er betrat das kühle, hohe Kirchenschiff und ging sogleich mit ausholenden Schritten zur Kapelle, in der der Heilige Gürtel aufbewahrt wurde. Vor dem Gitter kniete er nieder. Die Madonna hatte ihm seinen innigsten Wunsch erfüllt.
»Heilige Maria, Muttergottes, hier bin ich, dein ergebenster Diener. Ich danke dir!«
Mit neu erwachter Kraft sprach der Mönch seine Gebete. Als er fertig war, erhob er sich und klopfte den Staub von seiner Kutte. Dann warf er einen Blick zur Hauptkapelle hinüber, wo seine Helfer eifrig bei der Arbeit waren. Er dachte an die langen, mühevollen Tage und Nächte, in denen er an den Fresken geschuftet hatte. Nun erschien ihm die Kirche
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