Das Bildnis der Novizin
Der schwere Schlüssel hatte sich lautlos im Schloss gedreht, und auch das Bronzegitter hatte sich ohne das leiseste Geräusch öffnen lassen.
»Mutter und Kind sind wohlauf«, sagte Schwester Pureza. Sie hatte sich bereits von Lucrezia verabschiedet, hatte ihr versprochen, mittels Paolo von sich hören zu lassen und sie zu besuchen, wann immer es ihr möglich war. »Sie warten im Kloster.«
»Der Mönch ist auf dem Weg dorthin«, sagte der Prokurator.
»Lobet und preiset die Jungfrau vom Heiligen Gürtel!«, schallte Propst Inghiramis Stimme über den Platz, und die beiden Verschwörer richteten ihre Blicke hinauf zur Kanzel.
»Ja, Lob und Preis der Madonna«, flüsterte Schwester Pureza. Dann machte sie die Augen zu und richtete ein stummes Abschiedsgebet an ihre Tochter, die vor so langer Zeit auf Engelsflügeln zum Himmel getragen worden war. »Lob und Preis Gott im Himmel, der gerecht und gut ist.«
Als Fra Filippo das Kloster erreichte, läutete er nicht an der Pforte. Er ging zu dem alten Birnbaum, suchte sich die härteste Birne heraus und warf sie mit Schwung über die Mauer. Mit einem Plumps landete sie direkt vor der offenen Tür der Krankenstation. Er wartete, und einen Moment später kam die Birne wieder zurückgeflogen. Er konnte die Stimme von Schwester Spinetta hören und wenn er sich anstrengte, auch das Weinen seines Kindes. Sein Sohn.
Als Spinetta um die Ecke kam, fingerte er an dem Bernsteinstück in seiner Tasche herum, das er auf dem Markt gekauft hatte. Fra Piero hatte es gesegnet, und Fra Filippo hatte es an einer dünnen Lederschnur befestigt. Das Amulett würde Filippino beschützen. Aber er, Fra Filippo Lippi, würde ihn ernähren, ihn vor den Bedrohungen der Welt schützen, ihm ein Heim geben und ihn zu einem aufrechten Manne erziehen.
Lucrezia saß auf der Bettkante, ihr Kind in den Armen, als Spinetta einen Mönch in schwarzer Kutte und Kapuze hereinführte. Sie nahm an, es sei Fra Piero, und reckte deshalb den Hals, weil sie hoffte, hinter ihm die weiße Kutte Filippos auftauchen zu sehen. Aber da war sonst niemand.
Ihre Schwester wandte sich wortlos ab und verließ die Kammer, die Tür fest hinter sich zuziehend. Lucrezia drückte ihren Jungen an sich und starrte den verhüllten Mönch ängstlich an. Er nahm die Kapuze ab.
Und da war er, ihr geliebter Filippo.
»Oh«, seufzten beide. Damit war alles gesagt.
»Komm, Lucrezia, lass uns gehen«, drängte Fra Filippo. »Du sollst keine Minute länger hierbleiben als nötig.« Er nahm ihr das Kind ab und legte sich den kleinen Filippino in die Armbeuge. Der Säugling trug ein Gewand aus einem dünnen, ausgewaschenen Stoff, das Lucrezia für ihn genäht hatte. »Signore Ottavio hat uns netterweise seinen Eselskarren zur Verfügung gestellt. Er hätte uns gern seine Kutsche gegeben, aber die wird bei der Feier gebraucht.«
Lucrezia erhob sich lächelnd und strich ihr schlichtes braunes Kleid glatt, das sich über ihren vollen Busen wölbte und in tiefen Falten bis zu ihren Knöcheln fiel. Ihre Beine trugen sie wieder, ihre Wunden waren auf dem Wege der Heilung. Am wichtigsten jedoch war, dass Geist und Seele endlich Frieden gefunden hatten.
»Ich bin in einem Eselskarren hergekommen«, sagte Lucrezia und musste daran denken, wie sie auf der Ladefläche gelegen und zu den Sternen aufgeblickt hatte. »Warum sollte ich dann nicht auch auf einem Eselskarren wieder gehen? Nein, es ist mir egal, wie ich nach Hause komme, Hauptsache mein Heim ist bei dir und ich bin dort sicher.«
Filippo holte den Bernsteinanhänger aus der Tasche. Der Stein hatte die Form eines Hühnerflügels und die Farbe von reifem Weizen.
»Für das Kind«, sagte er. Er reichte ihr den Anhänger. »Hänge du ihn ihm um; sie soll ihn vor bösem Einfluss schützen.«
Lucrezias Augen wurden feucht. Sie hängte dem Kind das Amulett um. Mit erstickter Stimme flüsterte sie die Worte, die sie Schwester Pureza in der Nacht, als er zur Welt kam, sagen hörte: »Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«
Teresa de Valenti hieß den Propst und den Generalabt mit einer ausholenden Geste auf dem Balkon ihres Palazzos willkommen. Sie strahlte die beiden Männer an. In ihrem eleganten Seidenkleid mit den bestickten Ärmeln und dem langettierten Dekolleté, das ihren vollen, prächtigen Busen hervorragend zur Geltung brachte, sah sie bezaubernd aus.
Ascanio, ihr Sohn, war noch im Kinderzimmer und wurde in diesem Moment von der
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