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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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flüstern.
    Lucrezia wurde es eng in der Brust.
    »Ich habe dir gehorcht, Vater, und sieh, was aus mir geworden ist«, flüsterte sie.
    Der Maler räusperte sich laut, und sie presste die Lippen zusammen.
    Ich bin Novizin, eine angehende Braut Christi , dachte sie. Ich mache das hier nur auf Befehl der Mutter Oberin, zu Ehren der Medici und zu Ehren des Königs von Neapel . Sie strich mit den Fingern über die Samtbänder der Ärmel, und das schien ihre Ängste zu beschwichtigen. Ich kann zwar keine Signora mehr werden, aber ich kann so tun, als ob. Das ist schließlich keine Sünde.
    Sie zog sich das Kleid über den Kopf.
    Beim leisen Rascheln des Vorhangs drehte Fra Filippo sich um. Die Nachmittagssonne ließ Lucrezias Haar golden erstrahlen und funkelte auf dem feinen, mit winzigen Perlen bestickten Netz, das ihr zu einem Knoten geschlungenes Haar zusammenhielt. Ihre Wangen waren gerötet. Das satte Violett des Kleids unterstrich das tiefe Blau ihrer Augen. Weiße Seide umschmeichelte ihre Schultern und den Ausschnitt, die Ärmel bauschten sich wie Engelsflügel. Das Mieder umspannte eng ihre schmale Taille, darunter fiel der Stoff in unzähligen Falten bis über ihre bestrumpften Füße.
    »Lucrezia.«
    Fra Filippo sprach ihren Namen mit solcher Sehnsucht, solcher Traurigkeit, solch ehrfürchtiger Bewunderung aus, dass jedes weitere Wort überflüssig war. Lucrezia Buti konnte alles von seinem Gesicht ablesen. Rasch schloss sie ihre Augen, aus Angst, ohnmächtig zu werden.
    Da griff der Mönch zum Pinsel.
    »Halt, bitte so bleiben!«
    Lucrezia erstarrte. Auch draußen schien es auf einmal still zu werden, als hielte ganz Prato den Atem an.
    Er wagte weder die Augen von ihrem Gesicht abzuwenden noch ein weiteres Wort zu sagen, bis er ihr Gesicht, ihren Ausdruck, den feuchten Glanz ihrer Augen, das verwunderte Rund ihrer Lippen, das ins schimmernde Netz eingehüllte goldene Haar eingefangen hatte. Mit seiner ganzen Willenskraft kontrollierte er das Zittern seiner Finger und malte. Malte. Als die Sonne über den First des Nachbardachs wanderte, skizzierte er die roten Lippen der Madonna.
    Seine Vision war Wirklichkeit geworden.
    »Genug«, sagte er schroff. »Zieh dich jetzt wieder um.«
    Lucrezia sagte kein Wort. Sie hatte so lange reglos dagestanden, dass sie nun ganz steif war.
    »Dank dir ist meine Vision Wirklichkeit geworden«, brummte Fra Filippo mit seiner Bassstimme. »Aber jetzt beeil dich.«
    Lucrezia huschte hinter den Vorhang und öffnete mit fliegenden Fingern die zahlreichen winzigen Knöpfe des Kleids. Sie nahm ihr Haarnetz ab. Wie töricht und dumm sie doch war, noch törichter als in ihrer Kindheit in Lucca, als sie mit ihrer selbst gebastelten Brautkrone Hochzeit gespielt hatte. Sich einzubilden, der Mönch hätte sie mit mehr als dem bewundernden Ausdruck des Künstlers angesehen, eines Künstlers, der eine göttliche Vision hatte, war Blasphemie – war Hochmut, war Eitelkeit. War Sünde. Teufelswerk.
    Lucrezia schloss verzweifelt die Augen und streifte sich ihre schwarze Nonnentracht über den Kopf, legte den einengenden Schleier wieder an. Sie besaß keinen Spiegel, doch als sie diesmal hinter dem Vorhang hervortrat, wusste sie, dass die prächtige Lucrezia verschwunden war, und dafür war sie zutiefst dankbar, wenn auch erbittert.
    Als kurz darauf der Prokurator und Spinetta zurückkehrten, saß sie bereits wartend in der Diele. Hastig strich sie die Knitterfalten aus ihrem Habit. Spinetta sah erschöpft aus.
    »Ach, Lucrezia«, seufzte sie, »ich wünschte, ich hätte mehr für die arme Frau tun können! Ich fürchte, der Herr wird sie bald zu sich rufen.«
    Lucrezia räusperte sich. Sie hoffte, dass ihre Stimme sie nicht verriete. Doch bevor sie etwas sagen konnte, dröhnte die Bassstimme des Mönchs aus dem Atelier.
    »Schwester Spinetta, ich bin sicher, dass du ein großer Trost für die junge Mutter warst.« Er stand in der Tür zu seiner Werkstatt. »Aber jetzt müsst ihr ins Kloster zurück. Eure Eskorte wird gleich da sein.«
    Draußen verfärbte sich der Himmel allmählich in ein tiefes, geheimnisvolles Blau. Wenig später erschien der Medici-Bote. Die Schwestern verabschiedeten sich hastig und machten sich auf ihren kurzen Heimweg durch die Via Santa Margherita.
    »Wir haben so viel Glück«, flüsterte Spinetta ihrer Schwester zu. Beide atmeten die frische Abendluft mit tiefen Zügen ein. »Wir wissen so wenig über das Leiden in der Welt.«
    »Ja, da hast du recht, Spinetta.«

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