Das Bildnis der Novizin
wüsste, was Schwester Lucrezia zum Weinen gebracht hat«, seufzte Schwester Bernadetta von hinten. »Dann könnte ich vielleicht helfen.«
Doch einzig Paolo der Ziegenhirte und Spinetta wussten, was die Mutter Oberin von Lucrezia verlangt hatte. Im Austausch für ein wenig Brot und Kräuter aus Schwester Purezas Garten würde Paolo Lucrezia, wenn die Zeit kam, zum Valenti-Palazzo führen.
»Aber warum macht sie so ein Geheimnis daraus?«, flüsterte Spinetta besorgt, während sie und ihre Schwester den Kirchenraum betraten. »Wenn es doch nichts Falsches ist, warum soll es dann geheim bleiben, dass du der Signora hilfst, sich um ihr Baby zu kümmern?«
Lucrezia vermutete zwar, dass Schwester Pureza irgendwie dafür gesorgt hatte, dass sie aus dem Kloster und vom Generalabt fortkam, doch worin genau die Pläne der alten Nonne und der Äbtissin bestanden, wusste sie nicht. Daher schüttelte sie den Kopf und neigte denselben im stummen Gebet.
Nach den Gesängen eilten die Nonnen zum Frühstück ins Refektorium. Lucrezia hingegen zog ihre Schwester ins Dormitorium, wo sie ihr den Quarz-Rosenkranz in die Hand drückte.
»Ich hab ihn für dich aufgehoben, Schwester«, stieß Lucrezia atemlos hervor. »Jetzt gebe ich ihn dir zurück, damit er dir Trost spendet, während ich fort bin.«
Spinetta umklammerte die Perlen, die noch die Wärme ihrer Schwester verströmten.
»Ich hab Angst, Lucrezia. Du verschweigst mir doch was.« Spinettas Unterlippe zitterte.
»Hab keine Angst, Spinettina.« Lucrezia tastete nach dem Saum ihrer Unterwäsche und ritzte dann mit dem Fingernagel die Naht auf, wo sie ihr Medaillon eingenäht hatte. Auch dieses hielt sie ihrer Schwester hin.
»Hebe es bis zu meiner Rückkehr auf«, bat sie. »Bei den Valentis werde ich es nicht brauchen. Ich war dort, Spinetta. Keine Sorge, das ist ein wunderschöner, großer Palast mit vielen Dienern und Menschen und warmen Herdfeuern.«
Spinetta blickte forschend ins Gesicht ihrer Schwester, aber Lucrezia war fest entschlossen, die Sorgen ihrer Schwester zu zerstreuen.
»Ich bin bald zurück«, sagte sie kühn. »Wenn ich übermorgen noch fort bin, werde ich die Signora bitten, nach dir zu schicken, damit du mir helfen kannst.«
»O ja!« Spinettas Gesicht hellte sich auf. Sie steckte das Medaillon zu dem Rosenkranz in die Tasche ihrer Nonnentracht. »Wir hatten so viel Spaß in Bruder Filippos Werkstatt, nicht wahr?«
»Ja, meine Liebe. Ich habe nichts vergessen, was im Atelier des Malers geschehen ist.«
Zum hundertsten Male fragte sie sich, was der Maler dem Generalabt erzählt haben mochte und wie dieser zornige Mann auf den Glauben verfallen konnte, sie und Fra Filippo wären intim geworden. Es überlief sie kalt beim Gedanken an diese Anschuldigung. »Aber ich glaube nicht, dass wir je wieder dorthin zurückkehren werden.«
Der Festtag dämmerte zur Freude der aufrechten Bürger Pratos und ihrer zahlreichen Gäste in strahlender Pracht herauf. Ladenbesitzer kehrten ihre Geschäfte aus, Herde wurden geschürt, Kessel übers Feuer gehängt und in allen Häusern Pratos begannen die Mütter bunte Bänder ins Haar ihrer Töchter zu flechten und ihnen dabei die Geschichte vom Heiligen Gürtel zu erzählen.
»Und also übergab die Heilige Jungfrau ihren Gürtel an den Apostel Thomas, ehe sie in den Himmel auffuhr«, berichtete Teresa de Valenti mit leiser, müder Stimme. Sie lag noch immer in dem prächtig ausgestatteten Bett im Geburtszimmer und hatte die Decke bis ans Kinn gezogen; ihre Lider waren schwer vom Schlaf. Ihre vier Töchter, Isabella, Olivia, Francesca und Andreatta, frisch gewaschen und herausgeputzt, saßen rundherum auf der Bettkante und lauschten der Erzählung ihrer Mutter.
»Ihr herrlich verzierter Gürtel, der viele wundersame Kräfte besitzt, wurde in Jerusalem verwahrt, bis ihn der gute Kaufmann Michael Dagomari aus Prato für seine Gattin erwarb«, erzählte Teresa de Valenti ihren Töchtern. Dabei wurde ihr Blick unwillkürlich vom Porträt der Madonna angezogen, das vom Gang hereingeholt und neben ihrem Bett aufgehängt worden war. Sie betrachtete das liebliche Gesicht, und die Blicke ihrer Töchter folgten ihr. »Daheim gab der brave Mann dann die heilige Reliquie der Kirche in Verwahrung. So kommt es, dass der Heilige Gürtel nun schon seit dreihundert Jahren hier in Prato weilt, und viele bedeutende Männer sind seinetwegen in unsere schöne Stadt gepilgert, um den Segen und Beistand der Jungfrau Maria zu
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