Das blaue Feuer - Roman
hielt eine Hand schützend vors Gesicht und keuchte.
»Ich brauchte ein Versteck. Ich geh gleich wieder. Versprochen.«
Die Hand sank herab. »Du hast mir Angst gemacht.«
»Tut mir leid, aber du mir auch.«
»Ehrlich?« Er grinste. »Vor mir hat noch nie jemand Angst gehabt.«
»Na, ich auf alle Fälle und nicht zu knapp.«
Er nickte und schien mit sich zufrieden zu sein. Es war nicht der Straßenjunge, dem ich gefolgt war - der hier war viel jünger, vielleicht acht oder neun. »Wer hat dich gefesselt?«
Ich zögerte. »Soldaten.«
»Ja, das machen sie. Hast du geklaut?«
»Nein, ich bin gestohlen worden.«
Er lachte. »Noch nie habe ich jemand getroffen, der gestohlen worden ist. Aufschneiden?« Ein Messer erschien und glitzerte im Schatten.
Ich streckte die Hände aus. »Ja, danke.«
»Du redest komisch«, sagte er, als er die Seile durchschnitt.
»Du auch.«
Darüber musste er kichern. Die Seile fielen ab.
»Dank-«
»Pscht!« Er legte einen Finger gegen meine Lippen und beugte sich mit schief gelegtem Kopf in Richtung des Teppichs vor dem Eingang. Schwere gleichmäßige Schritte. Holz knarrte. Ein Mann fluchte, dann begann er zu schreien.
»Du kannst nicht meine Waren durchsuchen!«
»Wir können durchsuchen, was wir wollen. Zurück!«
»Leg das hin!«
Metall schlug gegen Metall. »Wir können morgen immer noch einen mehr aufhängen.«
Stille. Dann wieder Geräusche des Durchsuchens.
»Das sind die Unsterblichen«, flüsterte der Junge.
»Die Soldaten in der Pynviumrüstung?«
Er nickte. »Komm mit. Hier lang.« Lautlos wie Nebel bewegte er sich im Tunnel weiter. Ich folgte.
Schwärze verschluckte uns wenige Fuß weiter. Nur der Atem des Jungen verriet, dass er vor mir war. Nach einer Zeitlang schimmerte Licht voraus, und schließlich endete der Tunnel in einer Art Vorratsraum, der alt und vergessen aussah. Schimmel wuchs an den Wänden.
»Besser, wenn wir von hier abhauen«, sagte er und holte einen Schlüssel an einer Schnur vom Hals und schloss auf der anderen Seite eine Tür auf. »Für dich besonders.«
»Wohin führt das?«
»Brunnenplaza. Ist hinter den Eket-Straßen-Toren. Die Verfolger finden dich dort nicht.« Er öffnete die Tür einen Spalt und lugte hinaus. »Los, lauf, ehe es dunkel ist.«
»Ich habe aber keinen Ort, wohin ich laufen könnte.«
Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Bei uns kannst du nicht bleiben. Iesta würde das nicht gefallen. Die Moraat-Straße hat die meisten unverschlossenen Fenster. Sobald es dunkel ist, sind die Arbeiter weg.«
Ich trat in den Sonnenuntergang. »Welche Richtung?«
»Da runter. Dritter Block rechts.« Er deutete auf eine breite Straße, die von Lagerhäusern gesäumt war. Die Straße, welche diese kreuzte, sah genauso aus wie die, welche wir soeben verlassen hatten. Krämerkarren, zu viele Menschen und kein richtiges Versteck.
»Danke.«
»Mögen die Heiligen dich schützen.« Er schloss die Tür und lief weg. Mit wenigen Schritten war er in der Menge verschwunden. Ich hatte Angst mich zu rühren.
Noch nie im Leben hatte ich so viele Menschen gesehen! Es war, als sei ganz Baseer auf dieser einzigen Straße unterwegs. Und es waren nicht nur Menschen. Körbe mit Hühnern, Perlhühnern und Marschenten gackerten, krähten und quakten neben Käfigen mit anderen Tieren. Käfige mit bunten Vögeln hingen über solchen mit farbenprächtigen Eidechsen. Frauen gingen mit Hunden an der Leine, trugen Katzen in mit Perlen bestickten Taschen. Sogar Affen saßen auf einigen Schultern.
Ich sah keine Patrouillen. Aber nur die Heiligen wussten, wie sie sich durch so viele Menschen drückten. Vielleicht waren alle auf der anderen Seite des Tors, von dem der Junge gesprochen hatte. Das Haupttor konnte er nicht gemeint haben, aber hatte Vyand nicht etwas von Vierteln gesagt? Vielleicht wurde die Stadt durch Tore so in Sektoren geordnet, wie Geveg durch Kanäle aufgeteilt war.
Mein Magen flatterte, und das nicht nur vor Hunger. Wenn es hier Tore gab, dann kontrollierten Soldaten wahrscheinlich, wer hindurchging. Vielleicht saß ich hier in der Falle.
Gefangen in Baseer.
Trotz der Wärme schlug ich die Arme um mich. Etliche Menschen schauten in meine Richtung, und je länger ich hier stand, desto mehr gafften. Ich ging los. Ich nehme an, hier bemerkten die Menschen einen nur, wenn man sich nicht bewegte.
Ein großer Mann, dessen Arme mit Bildern geschmückt waren, stieß mich im Vorbeigehen mit dem Ellbogen an. Ich wich aus und
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