Das blaue Haus (German Edition)
Bett und finde es selbst heraus, du Narr!“
Ragee erhob sich schwerfällig und ging zur Treppe. Seine Worte hatten gesessen. Dane stand mit seinem Apfelrest in der Hand und unterdrückte nur mühsam den Schlag, den er Ragee jetzt gerne verpasst hätte.
Auf der letzten Stufe drehte sich der alte Mann um. „Morgen muss ich nach Junction City, die Schiene entfernen lassen.“ Er zeigte auf seinen geschienten Arm. „Und ich habe morgen Geburtstag. Ich habe Julie gestern angerufen. Sie bereitet eine Kleinigkeit vor. Du wirst mich fahren und dort mit mir feiern. Ich werde siebenundachtzig.“ Damit ging Ragee zu Bett und hinterließ Dane in einem unbändigen Zorn.
Wütend ging Dane in die Küche, um die Kernreste seines Apfels zu beseitigen. Dann stürzte er wieder in den Wohnraum zurück und sah aufgebracht zu dem Schaukelstuhl, in dem Ragee eben noch gesessen hatte. Was war aus dem ruhigen Abend nur geworden, was mit den schönen Abenden zuvor?
Dane ging erst spät in der Nacht zu Bett. Er hatte sich weder beruhigt, noch war er müde. Er konnte einfach nicht herausfinden, was Ragee meinte. Als er sein Bett aufschlug, sah er einen kleinen Zeitungsartikel unter seiner Bettdecke liegen. Eigentlich war es nur der Abriss eines Artikels. Dane nahm das Papier und las es in einem unzureichenden Licht:
Nichts bestraft böse Menschen so sehr wie Ignoranz oder Vergebung. Solange, bis ihre eigene Bosheit sie zu Boden reißt. Erst dann sind sie nackt und verletzbar – und heilbar.
Dane las es noch einmal durch – und wieder und wieder. Er schaltete das Licht aus und warf sich auf sein Bett. Wilde Schatten tanzten in seinem Zimmer herum – wie immer. Es waren wohl die Geister aus Kansas, die ihn jede Nacht besuchten, ob als Kind oder als Erwachsener, es waren immer die gleichen. Dane starrte an die Decke und sah den Geistern zu, wie sie sich dort oben tummelten. Nichts bestraft böse Menschen so sehr wie Ignoranz oder Vergebung, dachte er, bis ihm der Narr bekannt vorkam, den er 15 Jahre lang gespielt hatte. Dane kniff seine Augen zusammen. Er war erschöpft von den Geistern. Die Vergebung, dachte er. Die Vergebung wäre es gewesen, die seinem Vater wirklich zu schaffen gemacht hätte, etwas, dass er seinem Sohn niemals zugetraut hätte, es selbst niemals gekonnt hätte. Das wäre eine wirkliche Waffe gegen ihn gewesen; stattdessen hatte er von seinem Sohn Holz in die Glut bekommen. Dane hatte ihm die Freude seines Lebens bereitet! Er war eben ein Narr!
Dane drehte sich unruhig und drückte sein Gesicht in die Kissen. Die Geister sollten verschwinden! Es ging kaum noch Wind draußen vor seinem Fenster. Es war an der Zeit zu reden. Es war an der Zeit, sich einen Rat bei anderen zu holen. Es wäre bereits früher an der Zeit gewesen. Nur ein einziges Gespräch mit seiner Mutter. Und sein Vater der Polizei ausliefern. So einfach wäre es gewesen.
Dane weinte.
Die Geister ertranken in seinen Tränen und kamen nicht wieder. Sein Vater hatte gesiegt! Er hatte von seinem eigenen Sohn den Gnadenschuss bekommen.
Dane träumte von Hass und Schweigen, von Blut und Schmerzen, von einem Loch in seinem Herzen, aber auch von dem Licht, das immer irgendwie in weiter Entfernung schien und Zeit seines Lebens nie richtig verloschen war.
Dane kam am nächsten Morgen die Treppe hinuntergerannt. Er war so mitteilungsbedürftig wie nie zuvor.
„Wie hätte ich ihm vergeben können?“, rief er.
Ragee erschrak über das überfallähnliche Auftreten. Er hätte sich fast am Herd verbrannt. „Guten Morgen und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Ragee“, sagte der Alte zu sich selbst. „Ich höre, du hast in der Nacht viel zu denken gehabt.“ Er lächelte.
Dane kehrte in sich. Natürlich, Ragees Geburtstag. Er gratulierte dem Siebenundachtzigjährigen. „Ich wünsche dir den Tag mit mir, den du dir vorstellst. Ich hoffe, ich enttäusche dich nicht. Ich werde dich heute nach Junction City fahren und mit dir und Julie feiern. Ohne Probleme, ohne Ärger. Versprochen.“ Dane hob die rechte Hand zum Schwur.
„Hört sich gut an.“ Der Alte musste schmunzeln. Er stellte fest, dass Dane wieder bester Laune war. „Das Wetter ist klar, die Straßen sind frei. Die Fahrt dürfte nicht allzu lang sein. Komm, lass uns essen.“
Ragee war sich sicher, dass Dane in dieser Nacht ein großartiges Ergebnis erarbeitet hatte. Doch leider war heute kaum die richtige Zeit, sich darüber ausführlich zu unterhalten. Er hatte Julie versprochen, um elf Uhr in
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