Das blaue Haus (German Edition)
Erinnerung.
Die Sonne blendete ihn und verstärkte seinen Schmerz. Er versuchte, sich an das zu erinnern, was er zuletzt gesehen hatte. Er sah die rostbraunen Tücher neben sich liegen und eine Schüssel mit rötlich braunem Wasser. Jemand musste ihn nach dem Schuss versorgt haben. Ragee selbst? Oder jemand, der jetzt nicht mehr hier war?
Dane schwankte und hielt sich am Tisch fest. Er sah wieder zu Ragee, bewegte sich unsicher zu dem Sofa und schaute in das alte siebenundachtzigjährige Gesicht. Er versuchte festzustellen, was er für Raimund Geers jetzt noch empfand. Außer der Pflicht, sich bei ihm für alles zu bedanken, sah sich Dane zu nichts Weiterem mehr veranlasst. Er wollte in diesem Haus nicht weiter bleiben. Die Waffe!, kam es ihm plötzlich in den Sinn. Wo war die Waffe geblieben? Wo war das Buch? Und wo waren die Anzeigen?
Dane verdrängte seinen Kopfschmerz und startete eine hastige Suchaktion. Schwankend durchsuchte er Schubladen und Schränke, während Ragee langsam wieder zu sich kam.
Nichts von den Dingen, die Dane suchte, ließen sich mehr finden. Ragee hatte gute Arbeit geleistet, vielleicht sogar in der Hoffnung, dass er, Dane, sich an nichts mehr erinnern würde.
Und dann dachte Dane plötzlich an Julie und wusste, dass sie es gewesen sein musste, die er zuletzt gesehen hatte, die Decken, Kissen, Tücher und die Schüssel herangeschafft haben musste. Sie musste auch das Buch, die Anzeigen und die Waffe mitgenommen haben. Ja!, da war dieser Duft gewesen! Keine Waffe mehr für Ragee, keine Beweise mehr für Dane. Die hatte sie gegen Decken und Kissen getauscht. Ein banales Tauschangebot, wie Dane fand. Ragee konnte ihn nicht mehr erschießen, und er konnte dem alten Mann nichts mehr beweisen.
Ragee stöhnte leise. Dane sah zu dem alten Mann hinüber. Hassend begegneten sich ihre ersten Blicke. Beide waren mit Stummheit geschlagen, und Ragee bekam plötzlich Angst. Er fühlte die Waffe nicht mehr in seiner Hand. Wo war sie? Wie kam er hier auf das Sofa – unter diese Decke?
Der alte Mann blickte Dane angstvoll an. Er versuchte, den Besitz der Waffe in Danes Augen zu erkennen, aber er sah nur eine tiefe Enttäuschung. Er erinnerte sich plötzlich daran, dass ihm jemand er lebt zugeflüstert hatte. War es Dane selbst gewesen? Kam jetzt der Gegenschlag?
Dane flüsterte leise: „Julie.“
Ihre Blicke redeten, doch sie verstanden sich nicht mehr. Worte, die so sinnlos waren, als schwebten sie mit dem Sonnenlicht davon.
Dane schwitzte, obwohl er fast nichts anhatte. Sein Atem ging schwer. Seine Zuversicht war wieder zu einer Ruine der Einsamkeit geworden. Er konnte nichts weiter tun, als nur dazustehen und leise Julie zu hauchen.
Irgendwann atmeten sie eine getrennte Luft in getrennten Räumen ein. Dane saß auf seinem Bett und starrte auf die restlichen zwei Bücher von Julie, die immer noch auf seinem Nachttisch lagen. Er roch Sarah im ganzen Zimmer. Das ließ ihn noch tauber werden. Er roch sie, aber er fühlte sie nicht mehr. Sie war weg! Sie war mit dem Schuss gegangen! Jede Verbindung zu ihr war plötzlich wie abgeschnitten! Er wollte so gerne einen Alarm spüren, der ihn schreien oder wüten ließ, doch sein Blick verharrte starr auf diesen Büchern, als sei sein nächster Schritt darin niedergeschrieben worden.
Ragee ging es erbärmlich. Er saß draußen in seinem Garten – ohne Kaffee und ohne Brille. Er hätte Dane so gerne die Hilfe der Polizei zugestanden, die auch gleichzeitig seine Hilfe gewesen wäre. Hätte Dane ihn doch nur angeschrien oder geohrfeigt oder ihn sonst wie seine Wut spüren lassen, aber er war nur nach oben gegangen, geschmeidig wie immer – so leise, dass nicht ein Schritt zu hören gewesen war. Das Schweigen als Ohrfeige. Irgendwie hatte sie getroffen, aber eben nicht genug.
Ragee betrachtete seinen Garten. Aufgebrochene Knospen lachten ihn an. Der geteerte Weg zur linken Seite seines Grundstücks wies Risse und Löcher von dem kalten Winter auf. Ragee fühlte sich ihnen so verbunden, dass er sie anlächelte. Dem Weg konnte mit neuem Teer geholfen werden, aber ihm selbst ...? In seine Risse und Löcher schlich sich Julie ein, seine Pflegetochter, von der er nicht mehr wusste, wer sie wirklich war. Dane hatte sie soeben mit ihrem eigenen Namen exekutiert. Wenn sie es wirklich gewesen war, die die beiden Männer eben noch versorgt hatte, warum war sie verschwunden und nicht bei ihnen geblieben? Wo war das Buch, ... die Waffe, ... die Anzeigen? Sie hätte die Polizei
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