Das blaue Siegel
Nawab von Oudh, der das politische Kapital von nur vier Töchtern nicht leichtfertig verspielen wollte. Zinat Mahal war die jüngste, gerade siebzehn, als die Hauptfrau des alten Bahadur Sha, Großmogul von Delhi, Kaiser von Indien, endlich einem Krebsleiden erlag, das unter anderem zwei Jahrzehnte lang die Fortpflanzung seiner Dynastie verhindert hatte.
An den Höfen der Rajas, Nawabs und Marathenfürsten bis weit in den Süden, nach Andhra Pradesh, hinunter, brach daraufhin ein wahres Wettrüsten aus. Kleider, Schmuck, kostbare Öle, Wohlgerüche, geheime und weniger geheime Schönheitsmittelchen – obwohl die Wiederverehelichung des Kaisers ein rein politischer Vorgang war, scheuten die Fürsten keine Kosten, um ihre Töchter, vom achtjährigen Kind bis zur vierzigjährigen Witwe, »in Stellung zu bringen«. Die Frauen genossen das; dieser edle Wettkampf war die einzige Entschädigung für das bisweilen tödlich langweilige Leben, das sie hinter den hohen Mauern der Zenana führen mussten: ihre große Stunde!
Dichter, Sänger, sogar Miniaturenmaler zogen scharenweise nach Delhi, wie einst in den Tagen der Könige oder im europäischen Mittelalter, um dem verwitweten Mogul im Roten Fort die Schönheit der Töchter ihrer Herren nahezubringen. Was die Verhandlungen so sehr in die Länge zog, war das bereits fortgeschrittene Alter des Herrschers und die seltsame Tatsache, dass er seine Hauptfrau wirklich geliebt hatte.
Zinat Mahal gelangte aufgrund des Einflusses und der politischen Schlüsselstellung des Oudh selbstverständlich in die engere Wahl. Aber erst, als drei Jahre nach dem Heimgang der alten Begum die Schwester des Kaisers – ein ledergesichtiger alter Geier – Lakhnau besuchte, wusste sie, dass sie ganz oben auf der Liste stand. Die alte Frau und ihre Ärzte prüften Zinat Mahal in allen körperlichen und geistigen Belangen auf ihre Eignung und waren mit den Ergebnissen offensichtlich zufrieden, denn das Mädchen wurde zu einem Gegenbesuch ins Rote Fort eingeladen.
Sie träumte noch manchmal davon; dem ungeheuren Triumphzug an der Spitze von tausend Leibgardisten und Bediensteten, Hofdamen, Elefanten, juwelengeschmückten Wagen, dem ganzen neu eingekleideten Tross – und der Enttäuschung, in Delhi, dass sie noch immer nicht die einzige Bewerberin war. Raheema Raja Sahib von Gwalior, Enkeltochter der großen Königin Baiza Bai, war vier Jahre jünger als sie, trug ihren männlichen Titel aufgrund des merkwürdigen Erbfolgerechts in Gwalior und ritt mit gespreizten Beinen auf einem mit goldenen Ketten gezäumten schwarzen Hengst durch das Agra-Tor in die Stadt ein.
Es folgten die Tage der Prüfungen: Konnten die Mädchen singen, tanzen, geistreich plaudern? Waren sie witzig, ohne anstößig, klug, ohne aufdringlich zu sein? Was brachte sie zum Lachen oder Weinen? Waren sie in der Dichtung, den Überlieferungen, der Kultur, der Geschichte ihres Landes bewandert?
Zinat Mahal hatte in ihrem zwanzigjährigen Leben noch nie verloren. Weder ihre Herkunft noch ihre Erziehung sahen das vor. Erst an jenem Tag im Bad der Zenana begriff sie schlagartig, dass das Unmögliche geschehen würde. Denn Zinat Mahal war eine Schönheit; aber Raheema Raja Sahib war atemberaubend.
In ihrem Gesicht wohnte ein wacher, ansteckend lebendiger Geist, eine lebhafte, aber nicht ausgelassene Fröhlichkeit, die in reizendem Kontrast zu dem Eifer, der Leidenschaft, fast dem Ernst stand, mit dem sie in den Höfen des Roten Forts die Pferde zwischen ihren Schenkeln anspornte. Das Auffälligste an ihr war jedoch ihr Mund; das Ebenmaß und die kräftige, aber doch natürliche Farbe ihrer vollen Lippen, die ihr selbst unter den muslimischen Dichtern des Hofes den Namen lalpare 7 eingetragen hatten. Zinat Mahal wusste, dass sie in dieser Hinsicht nicht mit ihrer Cousine – die Mädchen wurden gezwungen, einander Cousine zu nennen – konkurrieren konnte, setzte aber ganz auf ihre Klugheit, Zurückhaltung, Würde und das nicht unbeträchtliche Alter des Kaisers. Bis zu dem Tag.
Dass die Cousinen gemeinsam mit den Frauen der Zenana des Roten Forts badeten, war bis dahin noch nicht verlangt worden. Unter den Augen des alten Geiers und obersten Schiedsrichters, beim Licht zahlloser Fackeln, die ihre jungen Schatten dutzendfach zitternd an mosaikgeschmückte Wände und Decken warfen, völlig entkleidet zu werden war für die Mädchen dennoch nichts Ungewöhnliches. Die Schwester des Moguls hatte sie – einzeln – schon öfter
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