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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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auf diese Weise begutachtet, aber nie zuvor gemeinsam und in einem Raum, von dem jedermann wusste, dass seine Wände Augen hatten. Müde, alte Augen, in denen nur eine seltene Lüsternheit noch einmal Glanz entfachen konnte.
    Die Mädchen reagierten unterschiedlich auf diese Zumutung. Zinat Mahal schlug die Augen nieder und bedeckte ihre schönen Brüste, den sauber epilierten Schoß mit den Händen, ehe sie sich ganz am Rand des flachen Beckens in das mit weißen und roten Blüten bedeckte, angenehm warme Wasser setzte. Die sechzehnjährige Prinzessin von Gwalior aber ging mit wütenden Blicken und so wilden Schritten bis in die Mitte des Beckens, dass das hier knietiefe Wasser samt der Blüten darin bis zu ihren Hüften spritzte. Dann tauchte sie mehrmals heftig unter, sodass sogar ihre Haare nass wurden, und drehte zuletzt der Wand und den Augen erbost ihren Rücken zu.
    Die Frauen, die Schwester des Moguls hielten den Atem an bei dieser ungeheuren Beleidigung. Dann jedoch, nach einer kleinen Weile und einem fast unhörbaren Getuschel in der Nähe der Wand, befahl die hagere alte Frau: »Prinzessin von Oudh, geh und wasch deiner Cousine den Rücken!«
    Zinat Mahal hatte in ihrem Leben selbstverständlich noch nie jemanden gewaschen, nicht einmal sich selbst; dafür gab es ja Dienerinnen. Deshalb war ihr die Symbolik dieses Befehls auch sofort klar. Die Scham machte ihr Gesicht heiß und ihre helle Haut dunkel, als sie der unmissverständlichen Aufforderung nachkam. Während sie immer noch Brüste und Schoß bedeckte, ging sie langsam zu Raheema Raja hinüber, die sich jetzt hoch aufrichtete und die Hände in die Hüften stemmte, ohne sich jedoch umzudrehen.
    »Hure!«, dachte Zinat Mahal, und um nicht mehr als unbedingt nötig von ihrem schönen schlanken Körper zeigen zu müssen, ließ sie sich auf den Knien in das tiefere Wasser gleiten. Bebend vor Demütigung streckte sie dann ihren Arm aus und strich zweimal fahrig am Rückgrat des schönen wilden Mädchens entlang, von den Lendengrübchen bis zwischen die Schulterblätter.
    Was sie am meisten verwirrte, war, dass sie diese kurze Berührung der fremden Haut als angenehm empfand; aber natürlich wäre sie lieber gestorben und hätte ihr Vater eher einen Krieg angefangen, als dass ihre Finger auch die unreinen Teile dieses herrlichen jungen Körpers berührt hätten. Doch da hatte Raheema Raja Sahib sich bereits umgedreht, lächelte auf ihre unterlegene Konkurrentin herab und sagte: »Ich danke dir, Cousine!« Dann küsste sie sie sanft auf die Stirn. Und es war, als würden ihre rubinroten Lippen den letzten Rest Stolz aus dem Königreich Oudh heraussaugen.
     

101.
     
    Die Nachrichten aus dem Norden waren verwirrend. Der Amerikaner hatte Narain getötet, in Kanpur, so viel stand immerhin fest. Aber danach hatte ihn lange Zeit niemand gesehen. Hatte Narain ihn verletzt? Der Amerikaner war erst in Lakhnau wieder aufgetaucht, er hatte Zamani Begum gesprochen, ihre Dienerin umgebracht, hieß es. Was wusste er? Was vermutete er? Was hatte ihm Zamani Begum, was Zinat Mahal erzählt?
    Sie fürchtete diesen Mann. Er hatte in ihrem Turm gestanden. Was hatte er gefunden? Zum ersten Mal seit Jahren träumte sie wieder von der furchtbaren Nacht in den Verliesen von Farhat Bakhsh, den schweren, schwitzenden Körpern der Soldaten auf ihrer Haut, den schmutzigen Händen, gebleckten Gebissen, dem verzerrten Grinsen ihrer gierigen Lust. Scharfer, alles zerreißender Schmerz zwischen ihren Beinen, als diese Tiere wieder und wieder über sie herfielen. Ihr zerschlagener, blutender Körper auf dem schmutzigen Boden, hochgezwungen auf Hände und Knie; Fußtritte, bis ihr Steißbein brach. Und die verhüllte, schmale Gestalt auf der Treppe, die dabeistand und zusah. Die herabkam zu ihr, als sie nur noch weinend an der Kerkerwand hochkroch, die sich zu ihr herunterbeugte und sie auf die Stirn küsste. Die sich erst schaudernd abwandte, als der Mann mit dem Messer kam. Das Messer!
    Sie erwachte von ihren eigenen Schreien, und Blut war auf ihrem Kissen, denn wieder hatte sie im Schlaf die Zähne so fest zusammengebissen, dass einer, der erste seit Langem, herausgefallen war. Sie erschrak, als sie ihn fand, bräunlich angefault neben dem seidenen Kissen. Sie weinte, während sie ein ölgetränktes Tuch über ihren Mund legte, und wieder wuchs dabei ihr Hass so erbarmungslos, dass sie eines der Mädchen kommen ließ, um es zu schlagen.
    Die Kleine war sehr hübsch, nicht älter, als

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