Das blaue Siegel
die beiden unteren Füße des Bettgestells waren abgeknickt, und so lag sie jetzt auf einem schräg abfallenden Lager, dessen Matratzen, Decken und Kissen allmählich ins Rutschen geraten waren. Zu ihrer Beschämung hatte sie nach mehreren Stunden verzweifelter Quälerei dann auch noch ein Bedürfnis überwältigt, jedenfalls war das Bettzeug durchnässt, und tödlich beleidigt spuckte sie Gowers an, als er sich zu ihr setzte.
Er zog an ihren Haaren, bis sie vor Schmerz den Mund öffnete, und presste dann für eine Sekunde seine Lippen hart auf die ihren. Als er aber merkte, dass sie ihn tatsächlich beißen wollte, gab er ihr zwei schallende Ohrfeigen, ehe er es erneut versuchte. Die beiden harten Schläge brannten in ihrem Gesicht, betäubten ihre Wangen. Ishrat schmeckte Blut auf den Lippen und ertrug dann die wühlende Zunge des Ungläubigen in ihrem Mund, obwohl sie nahe daran war, sich zu übergeben, als sie nach etwa einer Minute nicht mehr umhinkonnte, seinen bitteren Speichel zu schlucken.
Schließlich band er sie los, und in ihrer blinden Wut sprang sie nicht erst zu ihren Kleidern, ihrem Schleier, sondern zu dem Schwert, das der Investigator auf den Waschtisch gelegt hatte. Sie riss es so heftig aus der Scheide, dass sie mit dem Griff den großen Spiegel in Scherben schlug und auch die Flasche auf den Boden schleuderte, die er mitgebracht hatte. Das Glas zersprang, und die Flüssigkeit darin verbreitete einen so üblen Geruch nach Belait , dass Ishrat erneut zu würgen begann. Der Investigator nutzte diesen Moment der Schwäche, um ihr die Waffe aus der Hand zu schlagen, aber noch ehe sie den Boden berührt hatte, gelang es der Leibwächterin, ihn durch einen Tritt in die Kniekehle zu Fall zu bringen. Sofort hockte sie sich auf ihn, spürte seinen erhitzten Körper zwischen ihren Schenkeln und setzte ihm dann das Schwert an die Kehle. Dabei bemerkte sie die Reste getrockneten Blutes an der Klinge und wusste, dass er in der Dunkelheit getötet hatte. Sie wusste nicht, was, sie wusste nicht, wen – aber diese Vorstellung verwandelte ihre Wut augenblicklich in Erregung.
Blut, Urin und nächtliche Folter – auch Gowers’ schmerzlich überreizte Sinne gaben sich ganz dem exotischen Schauspiel der nackten Frau mit dem gezogenen Schwert hin, und zum zweiten Mal fielen sie übereinander her: zwei schmutzige Raubtiere, von keinem Gott und keiner Moral mehr gebändigt. Ihre Haut war kalt, und er hatte das Gefühl, mit dem Tod selbst zu schlafen, auf dem Boden, zwischen zusammengeworfenen Kleidern und schmutzigen Stiefeln, den heruntergerissenen Fetzen zweier Zivilisationen.
Sie gaben einander nichts nach in ihrer Lust, keiner senkte den Blick; Auge in Auge lagen sie – und schliefen zuletzt ineinander ein, Gesicht an Gesicht, wobei einer den Atem des anderen auf den Lippen fühlte.
Gowers erwachte, als Ishrat nach weniger als zwei Stunden erschöpften Schlafes aufstand und schwankend wie eine Betrunkene ihre kostbaren Kleider anlegte, ohne sich zu waschen. Er selbst tat das ungeniert, während sie ein wenig ratlos unter Decken, Matratzen, zwischen Scherben, Schmutz und Gestank nach ihrem Schleier suchte. Ihr Magen knurrte.
Der Investigator musste über den Anblick und das Geräusch laut lachen, zog sich Hose und Hemd an und klingelte nach einem Hoteldiener. Kurz darauf klopfte es an der Tür. Ishrat hatte ihren Schleier noch immer nicht gefunden, aber Gowers sagte bereits: »Herein!«, und so musste sie ihr Gesicht zur Wand drehen, wie ein zur Strafe in die Ecke gestelltes Schulmädchen.
»Guten Morgen, Sir! Mylady …«, sagte ein vor Sauberkeit schier glänzender junger Inder in lackschwarzer Livree und mit einem weiß leuchtenden Turban auf dem Kopf – ehe er doch vor Verlegenheit schlucken musste. Man hatte ihm beigebracht, die zerwühlten Betten und andere Privatheiten der reichen Hotelgäste nicht zu sehen, oder doch so zu tun, als würde er sie nicht sehen. Aber jetzt entglitten ihm für den Bruchteil einer Sekunde die Gesichtszüge. »Was darf ich für Sie tun, Sir?!«, fragte er ebenso widerstrebend wie dienstbeflissen.
»Frühstück«, befahl Gowers, »Briefpapier, Feder und Tinte sowie einen Botenjungen zum Roten Fort, an Mr. Abdur Ruhiman!« Der Investigator ließ einen müden Blick durch den verwüsteten Raum gleiten.
»Und ein neues Zimmer«, sagte er trocken.
45.
John wurde durch den Geruch im Innern des Zeltes zunächst abgestoßen, denn Gefäße mit Tran und Urin,
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