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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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dann zusehen zu müssen, wie seine Seele dem Teufel verfällt.«
    »Ich verstehe«, antwortete McClure, schon auf dem Sprung nach oben und mit den Gedanken im Eis. Dennoch musste er sich auf die Zunge beißen, um nicht hinzuzufügen: Lassen Sie das in diesem Fall mal ruhig die Sorge des Teufels sein!
     

79.
     
    »Sie sind Engländer?«, fragte Gowers mit einem misstrauischen Blick auf die schon fast schwarze Haut seines Gastes. »Wie ist Ihr Name?«
    »Mein Name ist vor langer Zeit im Süden gestorben. In Surat haben sie ihn deshalb auf einen Stein geschrieben.«
    »Ich meine, wie darf ich Sie anreden?«, versuchte es Gowers erneut.
    »Sind das Ihre Fragen an mich?«, fragte der alte Mann und schien zur Hälfte enttäuscht, zur anderen Hälfte amüsiert zu sein.
    »Längst nicht alle!« Der Investigator versuchte, freundlich zu bleiben, obwohl er sich allmählich über den alten Mann ärgerte. »Ich wüsste nur gern, wer« – mit nacktem Arsch auf meinem Sessel sitzt, hätte er fast gesagt – »wen ich vor mir habe.«
    »Nennen Sie mich Babu«, sagte der alte Mann gleichgültig. »Seit zwei Jahrhunderten nennen mich alle Kinder Babu.«
    »Babu, was steht auf dem Stein in Surat?«
    Der alte Mann lächelte den Investigator zuerst überrascht, dann verschmitzt an. »Sic exit Coryatus!«, sagte er schließlich.
    »So geht Coryate dahin«, murmelte Gowers langsam.
    »Sie können Latein?« Der Alte runzelte die Stirn. »Ich dachte, ihr Amerikaner haltet bereits Englisch für eine tote Sprache.«
    »Sind das Ihre Antworten für mich, Babu?«, fragte Gowers, als sei es der letzte Zug in einem Spiel, das nun vorüber war. Der alte Mann lachte gutmütig, wie jemand, der gelegentlich auch seinen Gegner gewinnen lässt, damit der das Interesse am Spiel nicht verliert. Dann streckte er Gowers die Hand hin, die er dabei allerdings betrachtete, als sei sie ein lange nicht mehr benutzter Gegenstand.
    »Thomas Coryate, aus Odcombe in Somerset. Geboren im Jahre des Herrn 1577.« Gowers schüttelte die angebotene Hand und antwortete ebenso förmlich: »John Gowers, aus Benwell-upon-Tyne in Northumberland. Aber ich lebe seit vielen Jahren in Amerika, in New York.«
    »Ich habe davon gehört«, sagte Coryate, »zu meiner Zeit noch Nieuw Amsterdam.«
    »Ich habe davon gehört«, sagte Gowers, noch immer belustigt, aber auch schon ein wenig fasziniert von dieser seltsamen Begegnung in Zeit und Raum. »Was sind Sie, Babu?«
    »Ich bin ein Pilger, John Gowers.«
    »Wohin pilgern Sie, Babu?«
    »Auf dem Weg zwischen Erkenntnis und Vergessen.«
    »Und wo sind Sie gerade?« Gowers konnte sich das Grinsen nur mühsam verkneifen. »Näher am Erkennen oder näher am Vergessen?«
    »Es ist eine Art Rundreise, John Gowers. Also ist man von beidem immer gleich weit entfernt. Start und Ziel sind nur willkürlich gesetzte Punkte. Ein Mann glaubt, am Ziel zu sein, weil er endlich ein kleines Stück Land besitzt oder ein Haus gebaut hat. Ein anderer will ein Geschäft gründen und verkauft seine Seele dafür. Der Dritte will mit einer bestimmten Frau schlafen und meint, er hätte damit alles im Leben erreicht. Der Vierte will Reichtum erwerben, der Fünfte die Welt beherrschen!«
    »Und wie wär’s mit einer Zigarre?«, fragte der Investigator, als in diesem Moment sein persönlicher Rauchdiener mit der frisch aufgefüllten Zigarrenkiste erschien. Coryate lachte zum ersten Mal laut, wurde aber durch aufgeregtes Getuschel an der Tür zunächst davon abgehalten, die von Gowers rasch beschnittene Zigarre anzuzünden. Aus der Menge der leise schnatternden Diener, die einander offenbar mit Schuldzuweisungen bewarfen, löste sich dann entschlossen der Kansamah oder Butler, der erste Diener des Palastes, und räusperte sich würdevoll: »Entschuldigung, Sahib! Entschuldigen Sie vielmals! Aber keiner von uns weiß, was Sack ist.«
    »Sack« , sagte Coryate entgeistert und sprang auf, wobei Gowers peinlich berührt auf sein hin und her schaukelndes Glied schaute. »Sack! Ein süßer Wein, Trockenbeerwein. Mild auf der Zunge und zäh im Brägen. Let a cup of Sack be my poison! Liest denn heutzutage niemand mehr Shakespeare?«
    »Heinrich der Vierte, zweiter Akt, zweite Szene!«, sagte Gowers spontan, und der alte Mann strahlte ihn überrascht an. Der Kansamah aber verneigte sich fast bis zum Boden und sagte: »Wir haben ein solches Getränk leider nicht, Sahib. Aber ich könnte Arrak servieren lassen.«
    Coryate machte eine versöhnliche Handbewegung, die

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