Das blaue Zimmer
Miss Cameron von Schüchternheit übermannt und wünschte, sie wäre nicht gekommen. Dann aber stand plötzlich Ambrose Ashley neben ihr, eine Röstgabel mit einem aufgespießten verbrannten Würstchen in der Hand.
„Miss Cameron. Wie schön, Sie kennenzulernen. Nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind. Frohe Ostern. Kommen Sie, Sie müssen die Leute kennenlernen. Frances! Miss Cameron ist da. Wir haben die Mitchells auch eingeladen, aber sie sind noch nicht hier. Frances, wie können wir den Rauch abstel len? Dieses Würstchen kann ich höchstens einem Hund an bieten.“
Frances lachte. „Dann such dir einen Hund und gib’s ihm, und dann fang noch mal von vorne an…“ , und plötzlich lachte Miss Cameron auch, weil er so herrlich komisch aussah mit seinem offenen Gesicht und dem verbrannten Würstchen. Dann bot ihr jemand einen Stuhl an, und jemand anders gab ihr ein Glas Wein. Sie setzte gerade dazu an, diesem Jemand zu sagen, wer sie war und wo sie wohnte, als sie unterbrochen und ihr ein Teller mit Essen gereicht wurde. Sie blickte auf, in das Gesicht der Ashley-Tochter. Die dunklen Augen hatte sie von ihrer Mutter, aber das Lächeln war das aufmunternde Grinsen ihres Vaters. Sie konnte nicht älter als zwölf sein, aber Miss Cameron, die während ihrer Jahre als Lehrerin unzählige Mädchen hatte heranwachsen sehen, erkannte auf Anhieb, daß dieses Kind eine Schönheit werden würde.
„Möchten Sie was essen?“
„Liebend gerne.“ Sie sah sich nach etwas um, wo sie ihr Glas abstellen könnte, dann stellte sie es ins Gras. Sie nahm den Tel ler, die Papierserviette, Messer und Gabel. „Danke. Ich weiß gar nicht, wie du heißt.“
„Ich bin Bryony. Dieses Steak ist in der Mitte rosig gebraten, hoffentlich mögen Sie es so.“
„Köstlich“, sagte Miss Cameron, die ihre Steaks gerne gut durchgebraten mochte.
„Und auf der gebackenen Kartoffel ist Butter. Ich hab sie draufgetan, damit Sie nicht aufstehen müssen.“ Sie lächelte und verschwand, um ihrer Mutter zu helfen.
Miss Cameron, bemüht, mit Messer und Gabel zu balancie ren, wandte sich wieder an ihren Nachbarn. „So ein hübsches Kind.“
„Ja, sie ist ein Schatz. Jetzt hole ich Ihnen noch ein Glas Wein, und dann müssen Sie mir alles über Ihr faszinierendes Haus erzählen.“
Es war eine herrliche Party, und sie war nicht vor sechs Uhr zu Ende. Als es Zeit zu gehen war, war die Flut so hoch, daß Miss Cameron keine Lust hatte, an der Kaimauer entlangzugehen, und sie kehrte auf dem üblichen Weg nach Hause zurück, via Haustüren und Bürgersteig. Ambrose Ashley begleitete sie. Als sie ihre Tür aufgeschlossen hatte, dankte sie ihm.
„So eine reizende Party. Es hat mir gefallen. Ich komme mir ganz bohemienhaft vor, so viel Wein am hellichten Tag. Und wenn Sie das nächste Mal hier sind, hoffe ich, daß Sie alle zu mir zum Essen kommen. Vielleicht mittags.“
„Herzlich gerne, aber jetzt werden wir erst mal eine ganze Weile nicht hier sein. Ich habe einen Lehrauftrag an einer Universität in Texas. Wir gehen im Juli rüber, machen zuerst ein bißchen Urlaub, und im Herbst fange ich zu arbeiten an. Bryony kommt mit. Sie wird in den USA zur Schule gehen.“
„Ein wunderbares Erlebnis für Sie alle!“
Er lächelte sie an, und sie sagte: „Ich werde Sie vermissen.“
Das Jahr verging. Nach dem Frühling kam der Sommer, der Herbst, der Winter. Es stürmte, und der Steinbrech der Ashleys wurde von der Mauer geweht, weshalb Miss Cameron mit Gärtnerdraht und Drahtschere nach nebenan ging und ihn festband. Es wurde wieder Ostern, es wurde Sommer, aber die Ashleys erschienen noch immer nicht. Erst Ende August kamen sie zurück. Miss Cameron war einkaufen gewesen und hatte in der Bücherei ihr Buch umgetauscht. Sie bog am Ende der Straße um die Ecke und sah das Auto der Ashleys vor der Tür stehen, und lächerlicherweise tat ihr Herz einen Sprung. Sie trat ins Haus, stellte ihren Korb auf den Küchentisch und ging geradewegs in den Garten. Und dort, jenseits der Mauer, war Mr. Ashley und versuchte, das rauhe, wuchernde Gras mit einer Sense zu mähen. Er blickte auf, sah sie und hielt mitten im Schwung inne. „Miss Cameron.“ Er legte die Sense hin, kam herüber und gab ihr die Hand.
„Sie sind wieder da.“ Sie konnte ihre Freude kaum zurück halten.
„Ja. Wir sind länger geblieben, als wir vorhatten. Wir haben so viele Freunde gewonnen, und es gab so viel zu sehen und zu tun. Es war für uns alle ein
Weitere Kostenlose Bücher