Das blaue Zimmer
knirschten.
James drehte sich auf der Bank herum, um durch die Ritzen der Holzbarriere zu spähen.
„Nigel ist da.“
„Ich dachte mir, daß sie gleich kommen würden.“
Sie saßen und warteten. Kurz darauf kamen Nigel und seine Mutter die Rampe herauf, sie ganz blond und außer Atem, er rundlich und glatt wie ein Maulwurf. Nigel und James waren gleichaltrig, und sie waren von Anfang an zusammen zur Schule gegangen, aber James mochte Nigel nicht. Das einzige, was sie verband, war die Fahrt zum Internat und zurück, wenn sie im selben Abteil saßen und ihre Comics tauschten und sich vermutlich ein wenig gestelzt unterhielten. Veronica hatte manchmal ein schlechtes Gewissen wegen James’ mangelnder Zuneigung für Nigel. „Wollen wir ihn in den Ferien nicht mal zu uns einladen? Dann hättest du jemand zum Spielen.“
„Ich hab Sally.“
„Aber sie ist ein Mädchen, und sie ist deine Schwester. Und älter als du. Wäre es nicht nett, einen Jungen in deinem Alter zu haben?“
„Nicht Nigel.“
„Ach James, so schlimm ist er nun auch wieder nicht.“
„Er hat alle Türchen von meinem Adventskalender aufge macht. Sogar das vierundzwanzigste.“
Das würde er nie vergessen. Nie vergeben. Veronica be mühte sich nicht weiter, aber es war ihr peinlich, als sie sich Nigels Mutter von Angesicht zu Angesicht gegenübersah. Nigels Mutter war jedoch kein bißchen verlegen. Sie denkt, befand Veronica, ich bin viel zu langweilig, um sich mit mir abzugeben. Vermutlich findet sie James auch langweilig.
„Himmel, wir dachten schon, wir kommen zu spät, nicht, Nigel? Hallo, James, wie geht’s? Schöne Ferien gehabt? Wart ihr weg? Wir waren in Portugal, aber Nigel hat sich den Magen verdorben und mußte eine Woche im Bett bleiben. Wären wir bloß lieber zu Hause geblieben, also wirklich…“
Sie plapperte weiter, kramte in ihrer Handtasche nach einer Zigarette, zündete sie mit ihrem goldenen Feuerzeug an. Sie trug einen hellblauen Overall mit Vorderreißverschluß, gol dene Ballerinas und einen um die Schultern geknoteten flau schigen Pullover. Veronica musterte sie und fragte sich, woher sie die Zeit nahm, sich jeden Tag so perfekt zu schminken. Sie überlegte dies voll Bewunderung und ohne Groll, aber Veronica selbst trug einen alten Faltenrock und Turnschuhe, und sie hatte das Gefühl, daß ihr Gesicht nackt sei.
Nigels Mutter erkundigte sich nach Sally.
„Sie ist seit voriger Woche wieder in der Schule.
Sie wird bald fertig sein, nehme ich an.“
„Sie ist erst vierzehn.“
„Erst vierzehn! Meine Güte, kaum zu glauben.“
„Der Zug kommt“, sagte James, und sie wandten sich dem Zug zu wie einem nahenden Feind. Er kam herangedonnert, verlangsamte in der Gleisbiegung sein Tempo und hielt am Bahnsteig, sperrte das Sonnenlicht aus, füllte den Bahnhof mit Lärm. Türen gingen auf, Leute stiegen aus. Nigels Mutter war weg wie der Blitz, um ein Nichtraucherabteil zu suchen, und Veronica und die zwei Jungen folgten brav hinterdrein.
„Hier, ein leeres Abteil… rein mit euch.“
Sie kletterten die Stufe hinauf, belegten ihre Plätze, kamen zurück, ihre Mäntel und Taschen zu holen.
„Wiedersehen, mein Liebling“, sagte Nigels Mutter. Sie umarmte ihr Kind, küßte es schmatzend auf beide Backen, hinterließ Lippenstiftspuren, die er später mit seinem Ta schentuch abwischen würde. Über ihre Köpfe hinweg sahen James und seine Mutter sich an. Der Bahnwärter kam den Bahnsteig entlang, forderte zum Einsteigen auf und schloß die Tür, denn der Zug war ein Schnellzug, der an diesem kleinen Bahnhof nur wenige Minuten hielt. Eingepfercht, gefangen, ließen die Jungen das Fenster herunter und hängten sich hin aus, Nigel vorne und James in eine Ecke gequetscht, so daß er das Gesicht seiner Mutter noch sehen konnte. Der Bahnwärter schwenkte die grüne Fahne, der Zug setzte sich in Bewegung.
Ich liebe dich, dachte sie und hoffte, daß er es hörte. „Gute Reise!“ Er nickte. „Schreib mir eine Postkarte, sobald du angekommen bist.“ Er nickte wieder. Der Zug wurde schneller. Nigel lehnte sich winkend hinaus und nahm den gesamten Platz im Fenster ein. Aber James war schon verschwunden. Er hielt nichts davon, den Jammer zu verlängern. Veronica wußte, er war auf seinen Platz gegangen, hatte sich schon hingesetzt, sein Comic-Heft aufgeschlagen und machte das Beste aus einer unerträglichen Situation.
Die zwei Mütter gingen zusammen aus dem Bahnhof zu dem Platz, wo der weiße Jaguar und der alte
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