Das blaue Zimmer
grüne Kombiwagen nebeneinander parkten.
„Schön“, sagte Nigels Mutter, „das war’s. Jetzt werden wir wohl eine Weile Ruhe haben. Roger und ich dachten, wir fah ren ein bißchen weg. Ich weiß nicht, das Haus kommt einem leer vor ohne die Kinder, nicht?“ Sie schien zu merken, daß sie etwas Falsches gesagt hatte, denn sie wußte, daß Veronicas Haus bis auf Toby, den Hund, vollkommen leer war. „Sie müs sen mal rüberkommen“, sagte sie schnell, denn sie war eine gutherzige Seele, „zum Essen oder so. Ich ruf Sie an.“
„Ja, das würde mich freuen. Wiedersehen.“
Der weiße Jaguar fuhr voran, den steilen Feldweg hinauf zur Straße, dann bog er links ab in Richtung Stadt. Veronica fuhr mit dem Kombi langsamer hinterher. Auf der Anhöhe starb er ab, sie mußte den Motor wieder anlassen und dann warten, bis ein Laster vorbeigedonnert war. Es machte ihr nichts aus. Sie hatte es nicht eilig. Der Rest des Tages erstreckte sich leer vor ihr, die unvermeidliche Leere planloser Stunden, die ertragen werden mußte, bevor sie sich zu Beschäftigungen aufraffen konnte, die nichts mit ihren Kindern zu tun hatten. Die Küche streichen und Rosen pflanzen; ein Wohltätigkeitsfrühstück organisieren, sich Gedanken über Weihnachten machen.
Weihnachten. Eine lächerliche Idee an einem Tag, der mitten im Sommer zu verharren schien. Die Bäume waren noch voll belaubt, der Himmel darüber blau und wolkenlos. Die schmale Straße, die ins Dorf führte, war gesprenkelt mit Schat ten und Sonnenlicht, das durch die hohen Ulmen sickerte. Ve ronica bog ein, kam an eine Kreuzung und hielt an. Ein Mann trieb eine Herde Kühe zum Melken. Während sie wartete, bis sie vorbei waren, schaute Veronica in den Rückspiegel, um zu sehen, ob noch ein Wagen hinter ihr war, und erblickte ihr Spiegelbild. Du siehst aus wie ein Mädchen, sagte sie sich unwillig. Ein älteres Mädchen. Sonnengebräunt und unge schminkt, und deine Haare sind so unordentlich wie die deiner Tochter. Nigels Mutter mit den dunkel getuschten Wimpern und dem blauen Lidschatten fiel ihr ein. Sie dachte: Wenigstens habe ich jetzt Zeit, mir die Haare machen zu lassen. Und die Augenbrauen zu zupfen. Und vielleicht eine Gesichtsbehand lung. Eine Gesichtsbehandlung war gut für die Stimmung. Sie würde sich eine Gesichtsbehandlung gönnen, und ihre Stim mung würde sich heben.
Die Kühe gingen vorbei. Der Treiber winkte ihr mit seinem Stock. Veronica winkte zurück, ließ den Motor an und fuhr weiter, den Hügel hinauf, um eine Ecke und gelangte auf die Hauptstraße des Dorfes. Am Kriegerdenkmal bog sie in den Weg ein, der ans Meer führte. Die Bäume verschwanden, die Felder sanken zur schäumenden Küste ab, die See war grün und blau, sie war purpurn gestreift und mit weiß gekrönten Wellen gefleckt. Veronica kam an eine hohe Fuchsienhecke, schaltete herunter, bog um eine scharfe Kurve und fuhr durch das weiße Tor. Das Haus war grau, quadratisch und unge heuer altmodisch. Sie war daheim.
Sie ging hinein, wußte genau, was sie erwartete. Die Uhr in der Diele tickte gemächlich. Toby hörte sie kommen; seine Pfoten tappten auf dem gebohnerten Küchenboden, und er erschien in der Tür, ohne zu bellen, weil er stets wußte, wenn es jemand von der Familie war. Er kam, sie zu begrüßen, suchte nach James, fand keinen James, kehrte würdevoll zu seinem Lager zurück.
Drinnen war es kühl. Das Haus war alt, mit dicken Mauern, und auch die Möbel waren alt, und es roch alt, aber auf angenehme Weise, wie in einem gepflegten Antiquitätengeschäft. Es war sehr still. Als Toby sich wieder niedergelegt hatte, waren nur die Uhr, ein tropfender Wasserhahn in der Küche und das Brummen des Kühlschranks zu hören.
Sie dachte: Ich könnte Tee kochen, obwohl es erst halb vier ist. Ich könnte die Wäsche hereinholen und bügeln. Ich könnte nach oben in James’ Zimmer gehen und seine Sachen aufsam meln. Sie sah sie vor sich, die abgewetzten, ausgebeulten Jeans, die grauen Socken, die unsäglichen Sandalen, das Superman- T-Shirt, das sein Lieblingskleidungsstück war. Er hatte die Sachen heute morgen angehabt; sie waren ein letztes Mal zum Schwimmen an den Strand gegangen, hatten den Abwasch, das Staubwischen, das Bettenmachen seinlassen. Danach hatte sie ihm sein Leibgericht gekocht, Koteletts und weiße Bohnen mit Speck, mit Tomaten überbacken, und hatte mit ihm gegessen, und tickend hatte die Uhr ihre letzten gemein samen Minuten angezeigt.
Sie warf ihre Tasche
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