Das blaue Zimmer
„Jetzt gleich.“ Sie versuchte sich zu erinnern, wie das war, als Mrs. Watts’ Daphne ihr Baby bekam. „Sie schicken einen Krankenwagen.“ Mrs. Watts’ Daphne hatte etwas zu lange gewartet und hätte ihr Kind beinahe auf dem Weg ins Krankenhaus bekommen.
„Gerald wollte mich hinbringen“, sagte Stephanie. Gerald war Emilys Vater. „Ich möchte es nicht bekommen, wenn er nicht da ist… “ Ihre Stimme versagte, und sie hatte Tränen in den Augen.
„Du wirst es vielleicht müssen“, sagte Emily. Da fing Ste phanie richtig zu weinen an und hörte ganz plötzlich wieder auf. „Oh… da ist die nächste!“ Sie langte nach Emilys Hand, und ungefähr eine Minute lang existierte nichts als der pani sche Griff ihrer Finger, das langsame, heftige Atmen, das Stöh nen vor Schmerz. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber schließlich ließ es nach. Es war vorüber. Stephanie lag er schöpft da. Ihr Griff um Emilys Hand lockerte sich. Emily zog ihre Hand fort. Sie ging in Stephanies Badezimmer, fand einen sauberen Waschlappen, wrang ihn in kaltem Wasser aus und ging damit ans Bett. Sie wischte Stephanie das Gesicht ab, dann rollte sie den Lappen zu einem Wulst und legte ihn ihr auf die Stirn.
Sie sagte: „Ich muß dich einen Moment allein lassen. Ich geh nach unten, telefonieren. Aber ich horche, du brauchst nur zu rufen…“
Im Arbeitszimmer ihres Vaters stand ein Telefon auf dem Schreibtisch. Sie telefonierte nicht gerne, und sie setzte sich in seinen großen Sessel, um sich Mut zu machen, und auch, weil sie ihm hier so nahe war, wie es ging. Die Telefonnummer des Krankenhauses stand im Verzeichnis ihres Vaters. Sie wählte behutsam und wartete. Als sich eine Männerstimme meldete, bat sie, so ruhig sie konnte, mit der Entbindungsstation ver bunden zu werden. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Emily war übel vor Angst und Ungeduld.
„Entbindungsstation.“
Vor lauter Erleichterung fing sie an zu stottern. „Oh… hier… ich meine… “ Sie schluckte und fing noch einmal an, langsamer. „Hier spricht Emily Bradley. Meine Stiefmutter sollte ihr Baby erst nächsten Monat bekommen, aber es kommt jetzt. Ich meine, sie hat Wehen.“
„0 ja“, sagte die Stimme kühl und geschäftsmäßig. Emily stellte sich eine Frau vor, adrett in gestärkter Tracht, die einen Notizblock zu sich heranzog, ihren Stift aufschraubte, um eine Liste von Routinefragen durchzugehen. „Wie heißt Ihre Stief mutter?“
„Stephanie Bradley. Mrs. Gerald Bradley. Sie hat sich für nächsten Monat im Krankenhaus angemeldet, aber ich glaube, das Baby kommt heute. Jetzt.“
„Hat sie gemessen, wie oft ihre Wehen kommen?“
„Ja. Alle fünf Minuten.“
„Dann bringen Sie besser her.“
„Das kann ich nicht. Ich habe kein Auto, und ich kann nicht fahren, und mein Vater ist nicht zu Hause, und hier ist nie mand, nur ich.“
Die akute Dringlichkeit der Situation kam endlich am ande ren Ende der Leitung an. „In diesem Fall“, sagte die Stimme, ohne noch weitere Zeit zu verlieren, „schicken wir einen Kran kenwagen.“
„Ich denke“, sagte Emily, an Mrs. Watts’ Daphne denkend, „Sie schicken am besten eine Schwester mit.“
„Wie ist die Adresse?“
„Haus Wheal, Carnton. An der Kirche vorbei den Feldweg entlang.“
„Und wer ist Mrs. Bradleys Hausarzt?“
„Dr. Meredith. Ich rufe ihn an, während Sie den Kranken wagen schicken und ein Bett im Krankenhaus bereithalten.“
„Der Krankenwagen wird in ungefähr fünfzehn Minuten bei Ihnen sein.“
„Danke. Vielen Dank.“
Sie legte auf. Blieb einen Augenblick sitzen, biß sich auf die Lippe. Dachte daran, den Doktor anzurufen, dann besann sie sich auf Stephanie und ging wieder nach oben, nahm zwei Stu fen auf einmal; Dringlichkeit, Verantwortungsgefühl und Bedeutsamkeit verliehen ihren Füßen Flügel.
Stephanie lag noch mit geschlossenen Augen. Sie schien sich nicht gerührt zu haben. Emily sagte ihren Namen, und sie schlug die Augen auf. Emily lächelte, bemüht, sie zu beruhi gen. „Na?“
„Ich hatte wieder eine Wehe. Diesmal waren es nur vier Minuten. 0 Emily, ich habe solche Angst.“
„Du darfst keine Angst haben. Ich hab im Krankenhaus angerufen, sie schicken einen Krankenwagen und eine Schwe ster… sie werden in etwa einer Viertelstunde hier sein.“
„Mir ist so heiß. Ich fühle mich so verklebt.“
„Ich kann dir aus deinem Kleid helfen. Ich zieh dir ein frisches Nachthemd an. Dann fühlst du dich wohler.“
„Oh, könntest du das
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