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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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dir, daß du die Prüfung machst, Emily, ausgerechnet jetzt. Es hat doch keine Eile, oder? Warum läßt du dir nicht noch ein Jahr Zeit? Die Zeit heilt alle Wunden. In einem Jahr wirst du es nichtvergessen haben, weil du deine Mutter niemals vergessen wirst, aber bis dahin sieht sicher vieles anders aus.
    Sie gingen über die Eisenbahnbrücke, eine Holzbrücke für Fußgänger, die den Golfplatz von den Dünen trennte. Auf hal bem Wege blieben sie stehen und beugten sich über das Gelän der, um auf die Schienen hinunterzusehen, die heute in der prallen Sonne blinkten.
    Portia sagte: „Meine Mutter hat mir erzählt, daß dein Vater wieder geheiratet hat.“
    „Ja.“
    „Ist sie nett?“
    „Ja.“ Die Stille, die auf dieses einzige Wort folgte, schien eine Anklage gegen Stephanie, deswegen setzte sie hinzu: „Sie ist sehr jung. Erst neunundzwanzig.“
    „Ich weiß. Mutter hat es mir erzählt. Sie hat mir auch er zählt, daß ein Baby unterwegs ist. Ist es schlimm für dich?“
    „Nein“, log Emily.
    „Es muß komisch sein, ein Geschwisterchen zu kriegen. Jetzt, meine ich. In deinem Alter.“
    „Ist schon in Ordnung.“
    Sie hatten eine neue Wiege für das Baby gekauft, aber Emilys Vater hatte Emilys alten Kinderwagen vom Speicher geholt, und Stephanie hatte ihn saubergemacht, geölt und blank ge putzt, und nun wartete er in einer Ecke der Waschküche auf den neuen Insassen.
    „Ich meine“, fuhr Portia fort, „du hattest nie Geschwister. Es muß komisch für dich sein.“
    „Es wird schon gutgehen.“ Das hölzerne Brückengeländer fühlte sich warm an; es war splitterig und roch nach Kresol. „Es wird schon gutgehen.“ Sie warf einen Holzsplitter auf die Eisenbahnschienen. „Komm weiter. Mir ist heiß, ich will schwimmen“, und sie überquerten die Brücke, und ihre Schritte klangen hohl auf den Planken, und dann gingen sie weiter, den Sandweg entlang, der zu den Dünen führte.
     
     
    Sie schwammen und lagen in der Sonne, die Köpfe im Sand und einander zugewandt. Portia plapperte unaufhörlich, von den nächsten Ferien, wenn sie vielleicht zum Skilaufen gehen würde, von dem Jungen, den sie kennengelernt und der ihr versprochen hatte, mit ihr in die Roller-Disco zu gehen, von der Wildlederjacke, die ihr Vater ihr zum Geburtstag ver sprochen hatte. Sie sprach nicht mehr von Stephanie und dem Baby, und Emily war ihr im stillen dankbar dafür.
    Und nun, als der Nachmittag vorüber war, wurde es Zeit, nach Hause zu gehen. Die Flut zog sich zurück, ein dunkler, nasser Sandstreifen lag gerade außer Reichweite der Brecher. Die See war ein Geflirre aus glitzerndem Licht, der Himmel noch wolkenlos und tiefblau.
    Portia sah auf ihre Uhr. Sie sagte: „Es ist kurz vor sieben. Ich muß gehen.“ Sie wischte den feuchten Sand von ihrem Bikini. „Bei uns findet heute abend eine Party statt. Giles bringt seine Freunde zum Essen mit, und ich habe Mutter versprochen, ihr zu helfen.“ Emily stellte sich das Haus voller junger Leute vor, die sich alle gut kannten, enorme Mengen verspeisten, Bier tranken, die neuesten Platten spielten. Es war eine zugleich beneidenswerte und erschreckende Vorstellung. Sie zog ihr T-Shirt über den Badeanzug. „Ich muß auch gehen“, sagte sie.
    Portia fragte mit ungewohnter Höflichkeit: „Bekommt ihr Besuch?“
    „Nein, aber mein Vater ist weg, und Stephanie ist ganz allein.“
    „Dann seid ihr bloß zu zweit, du und die böse Stiefmutter.“
    Emily sagte rasch: „Sie ist nicht böse.“
    „Ist bloß so eine Redensart“, sagte Portia. Sie sammelte Handtücher und Sonnenöl ein und stopfte alles in eine Lei nentasche, auf der in großen roten Buchstaben ST-TROPEZ stand.
     
     
    An der Kirche trennten sie sich.
    „War nett“, sagte Portia. „Machen wir bald mal wieder“, und sie winkte lässig und schlenderte davon. Das Schlendern wurde schneller, sie verfiel in Laufschritt. Portia eilte nach Hause, um sich die Haare zu waschen und für das abendliche Vergnügen zurechtzumachen.
    Sie hatte Emily nicht zu der Party eingeladen, und Emily hatte es nicht erwartet. Ihr lag nichts daran, auf eine Party zu gehen. Ihr lag auch nicht viel daran, nach Hause zu gehen und den Abend in Stephanies Gesellschaft zu verbringen.
    Stephanie und Emilys Vater waren jetzt fast ein Jahr verhei ratet, aber heute waren Stephanie und Emily zum erstenmal sich selbst überlassen. Ohne ihren Vater als Puffer, der das Ge spräch in Gang hielt, bangte Emily vor dem, was ihr bevor stand. Worüber

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