Das blaue Zimmer
tun? In der Schublade ist eins.“
Sie zog die Schublade auf und fand das weiße Batistnacht hemd, duftend und mit Spitzenbesatz. Sachte half sie Stephanie aus dem zerknitterten Umstandskleid, aus BH und Schlüpfer. Nackt lag ihr enormer weißer Bauch da. Emily hatte dergleichen noch nie gesehen, aber zu ihrer Verwunderung fand sie es nicht abstoßend. Es schien ihr vielmehr wie ein Wunder, ein sicheres, dunkles Nest mit einem lebendigen Kind darin, das sich bereits bemerkbar machte und der Welt verkün dete, es sei Zeit für es, in Erscheinung zu treten. Mit einemmal war es nicht mehr beängstigend, sondern aufregend. Sie zog Stephanie das Nachthemd über den Kopf, half ihr, die Arme durch die Spitzenärmel zu stecken. Sie holte eine Haarbürste und ein Samtband vom Toilettentisch, und Stephanie nahm die Bürste, strich ihre wirren Haare nach hinten und wand das Band darum, dann legte sie sich zurück und wartete auf die nächste Wehenattacke. Sie ließ nicht lange auf sich warten. Als sie vorüber war, schaute Emily, die sich so erschöpft fühlte, wie Stephanie aussah, auf die Uhr. Wieder vier Minuten.
Vier Minuten. Emily stellte panisch ein paar Berechnungen an. Es sah ganz danach aus, daß das Baby nicht bis zur Fahrt ins Krankenhaus warten würde. In diesem Fall würde es hier geboren werden, in diesem Haus, in dem blauen Schlafzimmer, in dem makellosen Bett. Die Geburt eines Kindes war eine un saubere Angelegenheit, soviel wußte Emily aus Büchern; au ßerdem hatte sie einmal einer getigerten Hauskatze zugesehen, als diese einen Wurf Kätzchen hervorbrachte. Man mußte Vorkehrungen treffen, und Emily wußte, welche. Sie ging an den Wäscheschrank, entnahm ihm eine Gummiunterlage, die jüngst für das Baby gekauft worden war, und einen Stapel dicke, weiße Badetücher.
„Du bist großartig“, sagte Stephanie, als Emily mit einiger Mühe das Bett machte, während ihre Stiefmutter darin lag. „Du denkst an alles.“
„Deine Fruchtblase könnte platzen.“
Stephanie brachte trotz allem ein mattes Lachen zustande. „Woher weißt du das alles?“
„Keine Ahnung. Ich weiß es eben. Mami hat mir alles übers Kinderkriegen erzählt, als sie mich aufgeklärt hat. Sie putzte gerade Rosenkohl, und ich stand am Spülbecken und sah ihr zu und dachte, es müßte eine leichtere Art geben, Kinder zu krie gen.“ Sie fügte hinzu: „Aber es geht natürlich nicht leichter.“
„Nein.“
„Meine Mutter hatte nur mich, aber ich weiß, andere Frauen sagen, wenn erst mal alles vorbei ist, dann vergißt man die Schmerzen und findet, daß es wunderbar war, das Baby zu kriegen. Und wenn wieder eins unterwegs ist, fallen einem die Schmerzen wieder ein, und man denkt: ‘Ich muß verrückt ge wesen sein, daß ich das noch einmal durchmache’, bloß, dann ist es natürlich zu spät. So, wenn’s dir recht ist, rufe ich jetzt den Doktor an.“
Mrs. Meredith war am Apparat und sagte, der Doktor ma che gerade Patientenbesuche, aber sie werde in der Praxis eine Nachricht hinterlassen, denn dort würde er immer wieder an rufen, um zu hören, ob noch weitere Besuche zu machen seien.
„Es ist furchtbar dringend“, sagte Emily, und sie schilderte, was los war, und Mrs. Meredith sagte, in diesem Fall werde sie ihn selbst suchen. „Hast du im Krankenhaus angerufen, Emily?“
„Ja, sie schicken einen Krankenwagen und eine Schwester. Er müßte gleich hier sein.“
„Ist Mrs. Wattis bei euch?“
„Nein, sie ist in Fourbourne.“
„Und dein Vater?“
„Der ist in Bristol. Er weiß nicht, was hier passiert. Stepha nie und ich sind ganz allein.“
Es entstand eine kleine Pause. „Ich gehe den Doktor su chen“, sagte Mrs. Meredith und legte auf.
„So“, sagte Emily, „jetzt müssen wir Daddy erreichen.“
„Nein“, sagte Stephanie, „laß uns warten, bis alles vorbei ist. Sonst gerät er in Panik, und er kann sowieso nichts tun. Wir warten, bis das Baby da ist, dann sagen wir’s ihm.“
Sie lächelten sich an, eine Verschwörung zweier Frauen, die beide denselben Mann liebten und beschützen wollten. Gleich darauf wurden Stephanies Augen weit, ihr Mund öffnete sich zu einem gequälten Stöhnen. „Oh, Emily…“
„Ist ja gut… “ Emily nahm ihre Hand. „Ist ja gut. Ich bin da. Ich geh nicht weg. Ich bin da. Ich bleib bei dir… “
Fünf Minuten später wunderte sich das Dorf über heulende Si renen. Der Krankenwagen kam mit Tatütata den ausgefahre nen Feldweg entlanggebraust, bog in
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