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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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sollten sie sich unterhalten?
    Sie schlug die Richtung nach Hause ein. Über den Dorfan ger, im Schatten der Eichen, den ausgefahrenen Feldweg ent lang, an dessen Ende der Blick aufs Meer fiel. Durch das offene weiße Tor und hinter der Kurve der Zufahrt war das Haus zu sehen.
    Von einer seltsamen Vorahnung erfüllt, zögerte Emily. Sie blieb stehen und betrachtete das Haus. Ihr Zuhause. Doch seit dem Tod ihrer Mutter war es nicht mehr ihr Zuhause gewesen.
    Schlimmer noch, seit ihr Vater Stephanie geheiratet hatte, war es das Zuhause einer Fremden geworden.
    Was hatte sich verändert? Geringfügige Kleinigkeiten. Die Zimmer waren aufgeräumter. Es lagen kein Strick- und Näh zeug, keine Bücher und alten Zeitschriften mehr herum. Kis sen waren aufgeschüttelt, die Teppiche lagen glatt und gerade.
    Die Blumen im Haus sahen anders aus. Emilys Mutter hatte Blumen geliebt, aber kein großes Geschick in ihrer Zusammenstellung bewiesen. Dicke Sträuße wurden in Krüge ge stopft, so wie sie gepflückt worden waren. Aber Stephanie konnte mit Blumen zaubern. Kunstvolle Arrangements in rie sigen cremefarbenen Vasen standen auf Gestellen, Sträuße aus Rittersporn und Gladiolen, durchsetzt mit Rosen und Wicken und seltsam geformten Blättern, die zu pflücken keinem Men schen außer Stephanie eingefallen wäre.
    Dies alles war unvermeidlich und einigermaßen erträglich. Was aber beinahe unerträglich war und Emilys Welt regel recht auf den Kopf gestellt hatte, war die vollkommene Ver wandlung des Schlafzimmers ihrer Mutter. Sonst war nichts im Haus verändert, umgestellt oder anders gestrichen worden, aber das große Doppelzimmer, das auf den Garten und den blauen Bach hinausging, hatten sie leer geräumt und vollkom men neu eingerichtet.
    Sie mußte ihrem Vater zugute halten, daß er es Emily mit geteilt hatte.
    Er hatte ihr einen Brief ins Internat geschickt. „Ein Schlaf zimmer ist etwas Persönliches“, schrieb er. „Es wäre nicht fair, von Stephanie zu erwarten, im Schlafzimmer Deiner Mutter zu schlafen, und mehr noch, es wäre nicht fair gegenüber Deiner Mutter, wenn Stephanie die Sachen, an denen sie am meisten hing, einfach übernehmen würde. Deshalb werden wir alles umkrempeln, und wenn Du in den Ferien nach Hause kommst, wirst Du es nicht wiedererkennen. Rege Dich deswegen nicht auf. Versuche es zu verstehen. Es ist das einzige, was wir verändern. Der Rest des Hauses bleibt, wie Du es immer gekannt hast.“
    Sie dachte an das Zimmer. Früher, als ihre Mutter noch lebte, war es schäbig und gemütlich gewesen, nichts hatte zueinander gepaßt, aber alles fügte sich fröhlich zusammen, wie die willkürliche Aussaat von Blumen in einer Rabatte. Vor hänge und Teppiche waren ausgeblichen. Auf dem riesigen Messingbett, das Emilys Großmutter gehört hatte, lag eine Ta gesdecke aus weißer Häkelspitze, und das ganze Zimmer war voll von Fotografien und altmodischen Aquarellen an den Wänden.
    Aber all das gab es nicht mehr. Jetzt war alles eierschalen blau, mit einem passenden hellblauen Teppich und schönen, blaßgelb eingefaßten Satinvorhängen. Das alte Messingbett war verschwunden, ersetzt durch ein luxuriöses französisches Polsterbett mit Rüschen aus demselben Stoff wie die Vor hänge, und das Bett hatte einen weißen Musselinhimmel, der in einer vergoldeten Krone hoch oben an der Wand zusam mengefaßt war. Jede Menge weiße Fellteppiche lagen auf dem Boden, und das Badezimmer war ringsum verspiegelt, und es glitzerte von verlockenden Flaschen und Tiegeln. Und alles duftete nach Maiglöckchen. Aber Emilys Mutter hatte stets nach Eau de Cologne und Gesichtspuder gerochen.
    Wie sie so in der Abendsonne stand, die Haare naß vom Schwimmen und die bloßen braunen Beine mit Sand überkru stet, sehnte sich Emily plötzlich danach, daß alles so sei wie frü her. Zur Haustür hineinlaufen und nach ihrer Mutter rufen zu können, und die Stimme ihrer Mutter würde von oben antwor ten. Zur ihr zu gehen, sich auf das große einladende Bett zu ku scheln und ihrer Mutter zuzusehen, wie sie am Toilettentisch ihre kurzen, widerspenstigen Haare bürstete oder sich mit einer Quaste aus Schwanendaunen, die sie in den Kristalltiegel mit duftendem Gesichtspuder getaucht hatte, die Nase pu derte.
     
     
    Sie konnte keine innige Beziehung zu Stephanie finden. Nicht, daß sie sie nicht mochte. Stephanie war schön, jugendlich und liebevoll und hatte sich nach Kräften bemüht, einen Platz in Emilys Herz zu erobern. Aber sie

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