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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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passiert?“
    „Gilbert!“
    Er durchquerte die Küche und spähte über ihre Köpfe in den Behälter. Auf dem Grund lag der Goldfisch auf der Seite, ein lebloses Auge stierte nach oben. „Er ist tot“, sagte Emily. „Woher weißt du das?“
    „ Weil er’s ist. Er sah allerdings tot aus. “ „Vielleicht macht er ein Schläf chen?“ vermutete Bill ohne große Hoffnung.
    „Nein. Er ist tot. Er ist tot.“
    Damit brachen beide in Tränen aus. Einen Arm um jedes Kind gelegt, suchte Bill sie zu trösten. Anna schmiegte ihr Ge sicht an seinen Bauch und schlang ihre Arme um seine Taille, Emily aber stand starr, hemmungslos schluchzend, die dünnen Ärmchen vor der mageren Brust gekreuzt, als versuchte sie, sich zusammenzuhalten.
    Es war furchtbar. Sein erster Impuls war, sich loszumachen, zum Fuß der Treppe zu gehen und um Hilfe zu rufen. Clodagh würde wissen, was zu tun war…
    Und dann dachte er, nein. Hier bot sich ihm eine Chance, zu zeigen, was in ihm steckte. Hier bot sich ihm die Chance, die Barrieren niederzureißen, allein mit der Situation fertig zu werden und den Respekt der Mädchen zu gewinnen.
    Schließlich beruhigte er sie. Er gab ihnen ein sauberes Ge schirrtuch als Taschentuch, führte sie zu der Bank vor dem Fenster und setzte sie rechts und links neben sich.
    „So“, sagte er, „jetzt hört mal zu. “
    „Er ist tot. Gilbert ist tot.“
    „Ja, ich weiß, daß er tot ist. Aber wenn Menschen oder Tiere, die wir gern haben, sterben, dann geben wir ihnen ein schönes Begräbnis. Wie wär’s, wenn ihr zwei in den Garten geht und ein friedliches Fleckchen sucht, wo ihr ein Loch gra ben könnt. Und ich seh mal nach, ob ich eine alte Zigarrenkiste als Sarg für Gilbert auftreiben kann. Und ihr könnt Kränze ma chen, um sie auf sein Grab zu legen, und vielleicht ein kleines Kreuz.“
    Die zwei blauen Augenpaare, wachsam wie immer, zeigten allmählich Interesse. Noch näßten Tränen die Wangen der Mädchen, aber hochdramatische Ereignisse besaßen eine zu große Anziehungskraft, um ihnen zu widerstehen.
    „Als Mrs. Dorkins im Dorf gestorben ist, hatte ihre Tochter einen schwarzen Schleier am Hut“, erinnerte sich Emily.
    „Vielleicht hat deine Mutter irgendwo einen schwarzen Schleier für deinen Hut.“
     „In der Truhe mit den Verkleidungssachen ist einer.“
    „ Na siehst du. Den kannst du anziehen!“
    „Und was soll ich anziehen?“ wollte Anna wissen. „Mami findet bestimmt was für dich.“
    „ Ich will das Kreuz machen.“
    „ Nein, ich.“
    „Aber…“
    Er unterbrach sie rasch. „Als erstes müßt ihr einen guten Platz bestimmen. Wollt ihr nicht nach draußen laufen und ein Plätzchen suchen, und in der Zwischenzeit mach ich euch Frühstück. Und nach dem Frühstück… “
    Aber sie hörten nicht mehr zu. Sie wollten auf und davon, konnten es nicht mehr abwarten. An der Hintertür blieb Emily stehen. „Wir brauchen eine Schaufel“, sagte sie eifrig.
    „Im Werkzeugschuppen findet ihr eine Kelle.“
    Sie flitzten durch den Garten, überbordend vor Eifer, aller Kummer war vergessen über der Aufregung, daß es ein rich tiges Erwachsenenbegräbnis geben würde, mit schwarzen Schleiern an ihren Hüten. Er sah ihnen mit gemischten Gefüh len nach. Er war nach der kleinen Szene erschöpft und heißhungrig. Gequält vor sich hin grinsend, ging er an den Herd und briet den Speck.
    Während er damit beschäftigt war, hörte er Schritte auf der Treppe, und im nächsten Augenblick kam seine Frau zur Tür herein. Sie hatte ihr Nachthemd und einen losen baumwollenen Morgenrock an. Die Haare hingen ihr auf die Schultern, sie war barfuß, ihre Augen waren noch vom Schlaf getrübt. „Was war denn los?“ fragte sie unter Gähnen. „Hallo, mein Liebling. Haben wir dich geweckt?“
    „ Hat da jemand geweint?“
    „ Ja. Emily und Anna. Gilbert ist tot.“
    „ Gilbert? 0 nein. Das kann ich nicht glauben.“
    Er gab ihr einen Kuß. „Es ist leider wahr.“
    „Arme Emily.“ Sie machte sich aus seiner Umarmung frei. „Ist er wirklich tot?“
    „Sieh selbst.“
    Clodagh spähte in den Fischbehälter. „Aber warum?“
    „Ich weiß es nicht. Ich verstehe nicht viel von Goldfischen. Vielleicht hat er was gefressen, das er nicht vertragen hat.“
    „Aber er kann doch nicht einfach so sterben.“
    „Du verstehst offenbar mehr von Goldfischen als ich.“
    „Als ich so alt war wie Anna, hatte ich selbst Goldfische. Sie hießen Sambo und Goldy.“
    „Originelle Namen.“
    Schweigend

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