Das blaue Zimmer
betrachteten sie den leblosen Gilbert. Dann meinte sie nachdenklich: „Ich weiß noch, daß Goldy auch mal so aussah. Mein Vater gab ihm einen Schluck Whisky, und schon fing er wieder an zu schwimmen. Übrigens, tote Fische treiben oben auf dem Wasser.“
Bill überhörte die letzte Bemerkung. „Einen Schluck Whisky?“
„Hast du welchen?“
„Ja. Ich hab eine Flasche, die ich für meine besten Freunde aufbewahre. Ich nehme an, Gilbert zählt dazu, und wenn du willst, kannst du eine Wiederbelebung versuchen, aber es scheint mir eine ziemliche Verschwendung, das Zeug über einen toten Fisch zu schütten. Das hieße Perlen vor die Säue werfen.“
Clodagh erwiderte nichts darauf. Sie krempelte einen Ärmel hoch, steckte die Hand in den Behälter und berührte mit einem Finger sachte Gilberts Schwanz. Nichts geschah. Es war hoff nungslos. Bill wandte sich wieder der Pfanne mit brutzelndem Speck zu. Vielleicht hatte er sich des Whiskys wegen ein bißchen kleinlich angestellt. Er sagte: „Wenn du willst…“
„Er hat mit dem Schwanz gewackelt!“
„Ist das wahr?“
„Ihm fehlt nichts. Er schwimmt… o sieh doch, Liebling.“
Und wirklich. Gilbert hatte sich wieder in die richtige Lage gebracht, seine kleinen goldenen Flossen geschüttelt und drehte kerngesund seine Runden.
„Clodagh, du wirkst Wunder. Sieh ihn dir an.“ Im Vorbei schwimmen traf Gilberts Fischauge Bills Blick. Bill war einen Moment verärgert. „Blöder Fisch, mußtest du mir so einen Schrecken einjagen“, sagte er zu ihm, und dann grinste er vor ehrlicher Erleichterung. „Emily wird überglücklich sein.“
„Wo ist sie?“
Das Begräbnis fiel ihm ein. Er sagte: „Sie ist mit Anna im Garten.“ Aus irgendeinem Grund erzählte er Clodagh nichts von ihrem Vorhaben.
Ihre Mutter lächelte. „Nachdem das kleine Problem gelöst ist, geh ich nach oben in die Badewanne. Ich überlasse es dir, ihnen die glückliche Nachricht mitzuteilen“, und sie warf ihm eine Kußhand zu und ging die Treppe hinauf.
Ein paar Minuten später, als der Speck knusprig war und der Kaffee durchlief, kamen die zwei kleinen Mädchen in heller Aufregung zur Hintertür hereingewirbelt.
„Wir haben einen prima Platz gefunden, Bill, unter dem Ro senstrauch in Mamis Rabatte, und wir haben ein riesengroßes Loch gegraben… “
„Und ich hab eine Gänseblümchenkette gemacht… “
„Und ich hab aus zwei Stöcken ein Kreuz gemacht, aber ich brauche eine Schnur oder einen Nagel oder so was, damit sie zusammenhalten… “
„Und wir singen ein Kirchenlied.“
„ Ja. Wir singen ‘Alle Herrlichkeit auf Erden’.“ Und wir dachten…
„Ich will’s ihm sagen…“
„Wir dachten…“
„Jetzt hört mal zu.“ Er mußte seine Stimme heben, um sich über den Lärm hinweg verständlich zu machen. Sie verstummten. „Hört mal einen Moment zu. Und seht her.“ Er führte sie zum Fischbehälter. „Schaut.“
Sie schauten. Sie sahen Gilbert wie immer ziellos im Kreis schwimmen, sein feiner, durchscheinender Schwanz schlug hin und her, seine runden Augen blickten nicht lebendiger als vorhin, da sie ihn für tot gehalten hatten.
Einen Moment herrschte vollkommene Stille.
„Seht ihr? Er war gar nicht tot. Er hat bloß gepennt. Mami hat ihn ein bißchen gekitzelt, und das hat ihm Tempo ge macht.“ Stille. „Ist das nicht großartig?“ Selbst in seinen eige nen Ohren klang es krampfhaft munter.
Keines der kleinen Mädchen sagte ein Wort. Bill wartete. Endlich sprach Emily.
Sie sagte: „Wir wollen ihn totmachen.“
Er war hin und her gerissen zwischen Entsetzen und Heiter keit, und eine Sekunde lang stand es auf Messers Schneide, ob er das Kind schlagen oder in Lachen ausbrechen würde. Mit übermenschlicher Anstrengung tat er keines von beidem, sondern sagte nach einer langen, gewichtigen Pause mit ungeheu rer Ruhe: „Oh, ich glaube nicht, daß wir das wollen.“
„Warum nicht?“
„Weil das Leben uns von Gott geschenkt wird. Es ist heilig.“ Während er dies sagte, wurde ihm leicht unbehaglich zumute. Obwohl er und Clodagh kirchlich geheiratet hatten, hatte er jahrelang nicht auf diese alltägliche Weise an Gott gedacht, und nun bekam er Gewissensbisse, als würde er den Namen eines alten Freundes mißbrauchen. „Es ist unrecht, etwas zu töten, auch wenn es nur ein Goldfisch ist. Außerdem hast du Gilbert doch lieb. Er gehört dir. Du kannst nicht töten, was du liebhast.“
Emily schob die Unterlippe vor. „Ich will eine Beerdigung. Du
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