Das blaue Zimmer
viel zu tun haben?“
„Aber… “
„Oh, sagen Sie ja. Es ist mir egal, was Sie berechnen. Wenn ich das nächste Mal nach London komme, kann ich bei Liber ty’s den allerschönsten Morris-Chintz kaufen.“ Ellen konnte sie nur anstarren. Ruth sah leicht zerknirscht drein. „Oh, jetzt habe ich Sie gekränkt.“ Sie versuchte es noch einmal, schmei chelnd. „Sie können das Geld jederzeit der Kirche spenden und es als gutes Werk abschreiben.“
„Darum geht es nicht!“
„Warum machen Sie dann so ein verblüfftes Gesicht?“
„Weil ich verblüfft bin. Weil dies genau die Beschäftigung ist, an die ich gedacht hatte. Professionell, meine ich. Schonbe züge und Vorhänge nähen und dergleichen. Polstern. Voriges Jahr habe ich es in einem Abendkurs gelernt. Und jetzt, da Vicky in London und James den ganzen Tag weg ist… Ich habe einen idealen Speicher im Haus, ganz hell und warm. Und ich habe eine Nähmaschine. Ich müßte nur noch einen großen Tisch kaufen… “
„Ich habe vorige Woche auf einer Versteigerung einen ge sehen. Einen alten Wäschereitisch…“
„Aber leider scheint James – mein Mann – es nicht für eine gute Idee zu halten.“
„Ach, Ehemänner sind notorisch unbegabt dafür, etwas für eine gute Idee zu halten.“
„Er meint, ich würde das Geschäftliche nicht bewältigen. Die Einkommensteuer und die Rechnungen und die Mehr wertsteuer. Und er hat recht“, schloß Ellen betrübt, „denn er weiß, daß ich nicht mal zwei und zwei zusammenzählen kann.“
„Nehmen Sie sich einen Steuerberater.“
„Einen Steuerberater?“
„Sagen Sie nicht ‘Steuerberater’, als wäre es etwas Unanständiges. Sie machen ein Gesicht, als hätte ich Ihnen geraten, Sie sollten sich einen Liebhaber zulegen. Natürlich einen Steu erberater, der macht die Jahresabrechnung für Sie. Kein Aber mehr. Ihre Idee ist einfach glänzend.“
„Und wenn ich keine Arbeit bekomme?“
„Sie werden mehr Arbeit bekommen, als Sie bewältigen können.“
„Das ist ja noch schlimmer.“
„Überhaupt nicht. Sie stellen einige nette Damen aus dem Dorf ein, die Ihnen zur Hand gehen. Sie schaffen Arbeitsplätze. Es wird immer besser. Ehe Sie wissen, wie Ihnen geschieht, be treiben Sie ein richtiges kleines Geschäft.“
Ein richtiges kleines Geschäft. Etwas Kreatives tun, das ihr Freude bereitete und das sie gut machte. Arbeitsplätze schaf fen. Vielleicht Geld verdienen wie Cynthia. Sie dachte darüber nach. Nach einer Weile meinte sie: „Ich weiß nicht, ob ich den Mut dazu habe.“
„Natürlich haben Sie den Mut. Und Ihren ersten Auftrag haben Sie schon. Von mir.“
„Aber James. Ich… angenommen, er ist dagegen?“
„Dagegen? Er wird restlos begeistert sein. Und was Ihre Tochter angeht, es wäre das Beste, das Sie für sie tun können. Es ist nicht leicht für Kinder, das Nest zu verlassen, vor allem für Einzelkinder. Wenn Sie beschäftigt und glücklich sind, braucht sie sich nicht von Gewissensbissen plagen zu lassen. Es wird Ihre Beziehung zu ihr von Grund auf ändern. Nur zu! Sie hatten vermutlich nie die Möglichkeit, etwas Eigenständiges zu tun, und nun bietet sich Ihnen die Gelegenheit. Ergreifen Sie sie mit beiden Händen, Ellen.“
Ellen sah sie an, hörte ihr zu, und plötzlich fing sie an zu lachen. Ruth runzelte die Stirn. „Warum lachen Sie?“
„Mir ist gerade klargeworden, warum Sie so viel Erfolg im Fernsehen haben.“
„Ich weiß, wie Sie darauf gekommen sind, weil ich nämlich wieder in meinen Predigtton verfallen bin, wie meine Kinder das nennen. Cosmo nannte mich immer eine unbändige Femi nistin, und vielleicht bin ich das. Vielleicht bin ich es immer ge wesen. Ich weiß nur, der wichtigste Mensch auf der Welt ist man selbst. Du bist der Mensch, mit dem du leben mußt. Du bist dein eigener Umgang, dein Stolz. Selbstsicherheit hat nichts mit Selbstsucht zu tun… es ist einfach ein Brunnen, der nicht austrocknet bis zu dem Tag, an dem man stirbt und ihn nicht mehr braucht.“
Ellen war seltsam bewegt, und ihr fiel keine Erwiderung ein. Ruth wandte den Kopf, blickte in den Feuerschein. Ellen sah die Falten um ihre Augen, den großzügigen Schwung ihres Mundes, die glatten grauen Haare. Nicht jung, aber schön; er fahren, verletzt vielleicht – vermutlich manchmal erschöpft –, aber nie unterlegen. Im mittleren Alter hat sie für sich allein ein neues Leben angefangen, guten Mutes und ohne Groll. Mit James’ Unterstützung könnte es doch nicht allzuschwer
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