Das blaue Zimmer
Markknochen zerschlug.
„Ja. Bloß nach Schottland zu meiner Tochter.“ Der Laden war voll, und sie sagte nicht, warum sie hinfuhr.
„Das wird eine nette Abwechslung.“
„Ja“, sagte Eve matt. „Ja, sehr nett.“
Sie fuhr nach Hause. Walter, der früh hereingekommen war, saß am Küchentisch und verzehrte, was Mrs. Abney ihm in den Backofen des Elektroherdes gestellt hatte, Braten, Kartoffeln und mit Käse überbackenen Blumenkohl. Er hatte seine alte Arbeitskleidung an und sah aus, wie ein Landwirt eben aus sieht. Vor langer Zeit hatte er in der Armee gedient; als Eve ihn heiratete, war er ein großgewachsener, schneidiger Haupt mann gewesen, und sie hatten eine traditionelle Hochzeit gehabt, Eve in wallendem Weiß, und als sie aus der Kirche traten, erwartete sie ein Bogengang aus Schwertern. Es folg ten Versetzungen nach Deutschland, Hongkong und War minster, immer wohnten sie in Unterkünften für Eheleute, hatten nie ein eigenes Heim. Und dann wurde Jane geboren, und bald danach verkündete Walters Vater, der sein Leben als Bauer in Northumberland verbracht hatte, er habe nicht die Absicht, in den Sielen zu sterben, und was Walter da zu tun gedenke?
Eve und Walter trafen die schwerwiegende Entscheidung gemeinsam. Walter nahm Abschied von der Armee, besuchte zwei Jahre eine Landwirtschaftsschule und übernahm dann den Hof. Keiner von ihnen hatte diese Entscheidung je bereut, aber die schwere körperliche Arbeit hatte bei Walter ihre Spu ren hinterlassen. Er war jetzt fünfundfünfzig, sein dichtes Haar ergraut, sein gebräuntes Gesicht von Falten durchzogen; in den Poren seiner Hände hatte sich Maschinenöl festgesetzt.
Er sah auf, als sie mit ihrer Last vollbeladener Körbe erschien. „Hallo, Liebling.“
Sie setzte sich ans andere Ende des Tisches, ohne ihren Man tel auszuziehen. „Hast du Mrs. Abney gesehen?“
„Nein, sie war schon weg, als ich hereinkam.“
„Ich muß nach Schottland.“
Ihre Augen trafen sich. „Jane?“ fragte Walter.
„Ja.“
Die plötzliche Angst schien ihn sichtbar zu verzehren, ihn erschreckend zu verkleinern. Es drängte sie impulsiv, ihn zu trösten. Sie sagte rasch: „Mach dir keine Sorgen. Das Baby kommt bloß ein bißchen zu früh, das ist alles.“
„Geht es ihr gut?“
In nüchternem Ton erklärte Eve, was David ihr gesagt hatte. „So was kommt vor. Aber sie ist im Krankenhaus. Ich bin sicher, sie ist in allerbesten Händen.“
Walter sprach aus, was Eve seit Davids Anruf zu verdrängen versucht hatte. „Sie war so krank, als Jamie geboren wurde.“
„O Walter, nicht… “
„Früher würde man ihr gesagt haben, sie darf kein Kind mehr bekommen.“
„Heute ist das anders. Die Ärzte sind so tüchtig -“ Sie fuhr unsicher fort, bemüht, nicht nur ihren Mann, sondern auch sich selbst zu beruhigen: „Du weißt schon, Ultraschall und so… “ Er wirkte nicht überzeugt. „Außerdem wollte sie noch ein Kind.“
„Wir wollten auch noch ein Kind, aber wir haben nur Jane.“
„Ja, ich weiß.“ Sie stand auf, um ihn zu küssen, und legte ihre Arme um seinen Hals, vergrub ihr Gesicht in seinen Haa ren. Sie sagte: „Mrs. Abney wird sich um dich kümmern.“
Er sagte: „Ich sollte mit dir fahren.“
„Liebling, das geht nicht. David versteht das, er ist selbst Landwirt. Jane versteht es auch. Mach dir deswegen keine Gedanken.“
„Es ist mir nicht recht, daß du allein fahren mußt.“
„Ich bin nicht allein. Ich bin nie allein, solange ich dich irgendwo weiß, und sei es in hundertfünfzig Kilometer Entfernung.“ Er hob ihr sein Gesicht entgegen, und sie lächelte ihn an.
„Wäre sie so gut gelungen“, fragte Walter, „wenn sie kein Einzelkind gewesen wäre?“
„Aber sicher. Es gibt keinen anderen Menschen, der so ge lungen ist wie Jane.“
Als Walter hinausgegangen war, packte Eve die Einkäufe weg, stellte für Mrs. Abney eine Liste auf, räumte die Tiefkühltruhe ein, spülte das Geschirr. Sie ging nach oben, packte einen Kof fer, aber als alles erledigt war, war es erst halb drei. Sie ging die Treppe hinunter, zog Mantel und Stiefel an und pfiff nach den Hunden, dann spazierte sie über die Felder zur kalten Nordsee, an den kleinen sichelförmigen Strand, den sie von jeher als ihr Eigentum betrachteten.
Sie hatten jetzt Oktober, es war still und kalt. Der Herbst hatte die Bäume bernsteingelb und golden gefärbt, der Him mel war bedeckt, die See stahlgrau. Es war Ebbe, der Sand lag glatt und rein wie ein
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