Das blaue Zimmer
sein, ihrem Beispiel zu folgen?
Schließlich war es Zeit, nach Hause zu gehen. Ellen stand auf, zog ihren Mantel an und nahm den leeren Korb. Ruth öffnete die Tür, und sie traten zusammen in den vereisten Garten hin aus.
Ellen sagte: „Sie haben einen Maulbeerbaum. Der wird Ihnen im Sommer Schatten spenden.“
„Ich kann mir den Sommer gar nicht vorstellen.“
„Wenn… wenn Sie Weihnachten allein sind, wollen Sie nicht zu uns kommen und den Tag mit James und mir verbrin gen? Er ist wirklich sehr nett, nicht so spießig, wie es sich viel leicht angehört hat, als ich von ihm sprach.“
„Das ist sehr liebenswürdig. Ich komme gern.“
„ Dann ist es abgemacht. Danke für den Kaffee.“
„Danke für das Vorweihnachtsgeschenk.“
„Sie haben mir auch ein Vorweihnachtsgeschenk ge macht.“
„So?“
„Sie haben mir Mut gemacht.“
Ruth lächelte. „Dafür“, sagte sie, „sind Freunde da.“
Ellen ging langsam nach Hause, schwenkte den leeren Korb, und ihr Kopf surrte von Plänen. Als sie die Tür aufmachte und in die Küche ging, klingelte das Telefon, und mit noch behand schuhter Hand nahm sie den Hörer ab.
„Hallo.“
„Mami, hier ist Vicky. Tut mir leid, daß ich mich nicht eher gemeldet habe, aber ich ruf bloß an, um dir zu sagen, daß es mit der Schweiz klappt. Hoffentlich macht es dir nichts aus, aber es ist eine himmlische Gelegenheit, und ich war noch nie Ski laufen, und ich dachte, vielleicht kann ich Silvester nach Hause kommen. Ist es sehr schlimm für dich? Findest du mich schrecklich egoistisch?“
„Natürlich nicht.“ Und es stimmte. Sie fand Vicky nicht egoistisch. Sie tat, was sie tun sollte, ihre eigenen Entscheidun gen treffen, sich amüsieren, neue Freunde gewinnen. „Es ist eine großartige Gelegenheit, und du mußt sie mit beiden Hän den ergreifen. “ (Ergreifen Sie sie mit beiden Händen, Ellen.)
„Du bist ein Engel. Und du und Daddy werdet nicht einsam sein, wenn ihr allein seid?“
„Ich habe für Weihnachten schon Besuch eingeladen.“
„Oh, prima. Ich hatte schon gedacht, ihr würdet Trübsal blasen und ein Kotelett essen und keinen Weihnachtsbaum haben.“
„Dann hast du falsch gedacht. Ich schicke heute nachmittag deine Geschenke ab.“
„Und ich schicke euch meine. Du bist ein Schatz, daß du so verständnisvoll bist.“
„Schreib eine Postkarte.“
„Na klar, mach ich. Ich versprech’s. Und Mami… “
„Ja, Liebling?“
„Frohe Weihnachten.“
Ellen legte auf. Dann ging sie, noch im Mantel, die Treppe hinauf, an Vickys Zimmer vorbei und zum Speicher hoch. Da war er, der Geruch nach Holz und Kampfer. Da waren sie, die brei ten Fenster und das große Oberlicht. Dort würde ihr Tisch ste hen, hier das Bügelbrett, hier ihre Nähmaschine. Hier würde sie zuschneiden, heften und nähen. Im Geiste sah sie Ballen mit Leinen und Chintz, Litzen für Vorhänge, Rollen mit Samt. Sie würde sich einen Namen machen – Ellen Parry. Sich ihr Leben gestalten. Ein richtiges kleines Geschäft.
Sie hätte den ganzen Tag so stehen mögen, in Pläne vertieft, sich zufrieden beglückwünschend, wäre ihr Blick nicht plötz lich auf den Karton mit dem Christbaumschmuck gefallen.
Weihnachten.
Keine zwei Wochen mehr und noch so viel zu tun. Die Apfel pasteten, die Karten, die Geschenke abschicken, den Baum be stellen. Sie hatte, erinnerte sie sich schuldbewußt, nicht einmal das Frühstücksgeschirr gespült. Aus der Zukunft in die noch aufregendere Gegenwart katapultiert, durchquerte sie den leeren Speicher, hob den Karton auf die Arme und trug die kostbare Last überaus vorsichtig die Treppe hinunter.
Die weißen Vögel
A l s Eve Douglas im Garten die letzten Rosen schnitt, bevor der Frost einsetzte, hörte sie im Haus das Telefon klin geln. Sie eilte nicht sogleich hinein, denn es war Montag, und Mrs. Abney war da, die wie verrückt mit dem Staubsauger her umfuhrwerkte und im ganzen Haus den Geruch von Möbel politur verströmte. Mrs. Abney ging gern ans Telefon, und wie zu erwarten, wurde kurz darauf das Wohnzimmerfenster auf gerissen, und Mrs. Abney winkte mit einem gelben Staubtuch, um Eve auf sich aufmerksam zu machen.
„Mrs. Douglas! Telefon!“
„Ich komme.“
Den dornigen Strauß in der einen Hand und die Garten schere in der anderen, überquerte Eve das laubbestreute Gras, zog ihre schmutzigen Stiefel aus und ging ins Haus.
„Ich glaub, es ist Ihr Schwiegersohn in Schottland.“
Eves
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