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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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frischgewaschenes Bettlaken. Die Hunde tollten voraus, ihre Pfoten hinterließen Spuren im Sand. Eve folgte hinterdrein, der Wind blies ihr die Haare ins Gesicht und pfiff in ihren Ohren.
    Sie dachte an Jane. Nicht an die Jane, die jetzt in einem frem den Krankenhausbett lag und darauf wartete, daß Gott weiß was geschah. Sondern an Jane als kleines Mädchen, Jane als Heranwachsende, Jane als Erwachsene. Jane mit ihren wirren braunen Haaren, ihren blauen Augen und ihrem Lachen. Die kleine, emsige Jane, die auf der alten Nähmaschine ihrer Mut ter Puppenkleider nähte, ihr kleines Pony striegelte, an nassen Winternachmittagen in der Küche Rosinenbrötchen buk. Sie dachte an Jane als langbeiniger Teenager, als sie ihre Freundin nen mit nach Hause brachte und das Telefon pausenlos klin gelte. Jane hatte all die leichtsinnigen, entnervenden Dinge ge tan, die alle Teenager tun, aber sie selbst war nie entnervend gewesen. Sie war nie aufsässig, nie mürrisch, und dank ihrer natürlichen Freundlichkeit und Lebhaftigkeit war sie nie ohne Begleitung des einen oder anderen Verehrers gewesen.
    „Eh du’s dich versiehst, bist du verheiratet“, hatte Mrs. Ab ney sie immer geneckt, aber Jane hatte da ihre eigenen Vorstel lungen.
    „Ich heirate frühestens mit dreißig. Ich heirate erst, wenn ich für alles andere zu alt bin.“
    Aber als sie einundzwanzig war, hatte sie ein Wochenende in Schottland verbracht und sich Hals über Kopf in David Murchinson verliebt, und alsbald sah sich Eve in Hochzeits vorbereitungen vertieft; sie maß aus, wie das Zelt auf den Rasen paßte, und durchstöberte die Geschäfte von Newcastle nach einem geeigneten Hochzeitskleid.
    „Daß du einen Bauern heiratest!“ wunderte sich Mrs. Ab ney. „Man sollte meinen, nachdem du auf einem Hof aufge wachsen bist, hättest du die Nase voll vom Landleben.“
    „Ich nicht“, sagte Jane. „Ich springe von einem Misthaufen in den anderen!“
     
     
    Sie war nie krank gewesen, aber als Jamie vor vier Jahren ge boren wurde, war sie schwer krank, und das Baby mußte zwei Monate auf die Intensivstation, bevor es nach Hause durfte. Eve war die ganze Zeit in Schottland geblieben, um sich des kleinen Haushalts anzunehmen, und es hatte so lange gedauert, bis Jane genesen und wieder zu Kräften gekommen war, daß Eve im stillen betete, sie würde kein Kind mehr bekom men. Aber Jane war anderer Meinung.
    „Ich will nicht, daß Jamie ein Einzelkind ist. Nicht, daß ich es nicht genossen hätte, euer einziges Kind zu sein, aber es ist bestimmt lustiger, Geschwister zu haben. Außerdem wünscht David sich noch ein Kind.“
    „Aber Liebling… “
    „Ach, es wird schon klappen. Reg dich nicht auf, Mama. Ich bin stark wie ein Pferd, nur meine Innereien wollen nicht im mer so wie ich. Es sind ja nur ein paar Monate und dann hat man für den Rest seines Lebens etwas Wunderbares.“
    Für den Rest seines Lebens. Den Rest von Janes Leben. Auf einmal wurde Eve von eiskalter Panik gepackt. Zwei Zeilen eines Gedichtes, das sie einmal gelesen hatte, entstiegen ihrem Unterbewußtsein und dröhnten wie Trommelschläge in ihrem Kopf:
     
    Unaufhörliches Blühen
    über meiner verwesenden Tochter…
     
    Sie schauderte, fröstelnd bis ins Mark, innerlich und äußerlich von Kälte befallen. Sie war jetzt in der Mitte des Strandes, wo ein Felsen, der bei Flut nicht zu sehen war, aufragte, von der See verlassen wie ein gestrandeter Koloß. Er war mit Napfschnec ken überkrustet, hatte Fransen aus grünem Tang, und auf ihm saßen zwei perläugige Silbermöwen und schrien trotzig gegen den Wind an.
    Sie blieb stehen und beobachtete sie. Weiße Vögel. Aus irgendeinem Grunde hatten weiße Vögel in ihrem Leben im mer eine wichtige, ja schicksalhafte Rolle gespielt. Sie hatte die Möwen schon als Kind geliebt, in den Sommerferien am Meer, wenn sie am blauen Himmel segelten, und jedesmal rief ihr Schrei jene endlosen, müßigen, sonnigen Tage zurück.
    Und dann die Wildgänse, die im Winter Davids und Janes Hof in Schottland überflogen. Morgens und abends zogen die großen Verbände am Himmel entlang, glitten hinab, um sich in dem schilfigen Watt an den Ufern des weiten Meeresarmes niederzulassen, der an Davids Land grenzte.
    Und Pfauentauben. Eve und Walter hatten ihre Flitterwochen in einem kleinen Hotel in der Provence verbracht. Ihr Fenster hatte auf einen mit Kopfsteinen gepflasterten Hof mit einem Taubenschlag in der Mitte hinausgesehen, und die Pfau entauben hatten sie

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