Das blaue Zimmer
Eltern bewogen hatte, ihn zum Paten ihres Sohnes zu machen, war ein Rätsel, das Ian nie zu lösen vermocht hatte. Er war ein entfernter Cousin und war von jeher als humorlos, anspruchsvoll und krankhaft geizig bekannt. In den vergangenen Jahren hatte er nichts getan, um irgendeine dieser Eigenschaften zu verbessern. Er war einige Jahre mit einer faden Dame namens Gladys verheiratet gewesen. Sie hatten keine Kinder, lebten einfach zusammen in einem düsteren Häuschen in Woking, aber Gladys hatte ihn wenigstens umsorgt, und als sie starb und er allein zurückblieb, nagte das Problem Edwin ständig am Gewissen der Verwandten.
Armer alter Knabe, sagten sie wohl und hofften, daß jemand anders ihn Weihnachten einlud. Dieser Jemandanders war gewöhnlich Ians Mutter, eine wahrhaft gutherzige Dame, und es erforderte einige Anstrengung von ihr, die Familienfeier nicht von Edwins bedrückender Anwesenheit beeinträchtigen zu lassen. Daß er ihr nichts weiter schenkte als eine Schachtel Taschentücher, die sie nie benutzte, trug nicht gerade dazu bei, ihn bei den übrigen Anwesenden beliebt zu machen. Es war ja nicht so, betonten sie, daß Edwin kein Geld hatte. Er mochte sich nur nicht davon trennen.
„Vielleicht könnten wir den Baum selber fällen.“
„Liebling, er ist viel zu groß. Entweder würden wir uns selbst umbringen oder das ganze Haus zum Einsturz bringen.“
„Wir könnten einen Fachmann kommen lassen. Einen Baumchirurgen.“
„Und was fangen wir mit den Ästen und Zweigen an, wenn der Chirurg seine Arbeit getan hat?“
„Verbrennen?“
„Ein Feuer von der Größe? Die ganze Siedlung würde in Rauch aufgehen.“
„Wir könnten jemanden fragen. Einen Kostenvoranschlag einholen.“
„Liebling, ich kann dir einen Voranschlag nennen. Es würde ein Heidengeld kosten. Und wir haben kein Heidengeld.“
„Ein Garten. Er wäre wie ein zusätzliches Zimmer. Platz zum Spielen für Robbie. Und ich könnte das Baby im Kinderwagen nach draußen stellen.“
„Wie denn? An einem Seil aus dem Küchenfenster lassen?“
Sie hatten dieses Gespräch schon zu oft geführt in unterschiedlichen Graden von Bitterkeit.
Ich werde es nicht wieder erwähnen, gelobte sich Jill, aber… Sie hielt mit dem Schneiden der Tomatenscheiben inne, und das Messer in der einen Hand, das Kinn auf die andere gestützt, sah sie durch die schmierige Glasscheibe, die man nicht putzen konnte, weil man nicht herankam.
Der Baum. Ihre Phantasie beseitigte ihn, aber was sollte man mit dem Rest anstellen? Was würde auf diesem jämmerlichen Stückchen Erde schon wachsen? Wie könnten sie die Katzen fernhalten? Sie grübelte noch über diese unüberwindlichen Probleme nach, als sie ihren Mann die Haustür aufschließen hörte. Sie zuckte zusammen, als sei sie bei etwas Unschick lichem ertappt worden, und fuhr rasch fort, die Tomate in Scheiben zu schneiden. Die Tür schlug zu, und Jill lächelte ihren Mann über die Schulter an.
„Hallo, Liebling.“
Er warf seine Aktenmappe hin, gab Jill einen Kuß. Er sagte: „Gott, ist das heiß heute. Ich bin schmutzig und stinke. Ich geh mich duschen, und dann komme ich und bin charmant zu dir…“
„Im Kühlschrank ist eine Dose Bier.“
„Welch ein Genuß.“ Er küßte sie wieder. „Du dagegen riechst himmlisch. Nach Freesien.“ Er lockerte seine Krawatte. „Das ist die Seife.“
Er steuerte auf die Treppe zu und zog sich im Gehen aus. „Hoffentlich wirkt sie bei mir genauso.“
Fünf Minuten später war er wieder unten, barfuß, in einer verblichenen Jeans und einem kurzärmeligen Hemd, das er für die Hochzeitsreise gekauft hatte.
„Robbie schläft“, sagte er. „Ich hab eben reingeguckt.“ Er öffnete den Kühlschrank, nahm die Dose Bier heraus und schenkte zwei Gläser ein, trug sie an den Tisch und ließ sich neben Jill auf einen Stuhl fallen. „Was hast du heute ge macht?“
Sie erzählte ihm vom Park, dem geschenkten Pfirsich, von Delphins Einladung fürs Wochenende. „Sie sagt, sie nimmt uns in ihrem Wagen mit.“
„Sie ist ein Engel. Eine herrliche Vorstellung.“
„Wir sollen nach dem Essen auf ein Glas Wein herunter kommen. Sie sagt, dann können wir es besprechen.“
„Eine kleine Party, wie?“
„Das ist eine nette Abwechslung.“
Sie sahen sich lächelnd an. Er legte eine Hand auf ihren fla chen Bauch. Er sagte: „Für eine Schwangere siehst du sehr ap petitlich aus.“ Er aß ein Stück Tomate. „Ist das unser Abend brot, oder tauen wir was aus dem
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