Das blaue Zimmer
wenn, die Polizei würde denken, wir würden jemand ermorden, wenn wir anfangen, auf die Katzen zu ballern.“
„Was bist du doch für eine ergebene kleine Ehefrau. Na schön, wenn ihr die Katzen nicht erschießen wollt, wie wär’s, wenn ihr dieses Wochenende ins Cottage kommt? Ich kann euch in meinem Wagen mitnehmen.“
„Oh, Delphine.“ Es war das Netteste, was ihr den ganzen Tag passiert war. „Ist das dein Ernst?“
„Natürlich.“ Jill dachte an den schattigen Garten auf dem Land, den Duft von Holunderblüten und daran, wie sie Rob bie mit den Füßen in dem seichten, über Kiesel plätschernden Wasser des Flüßchens planschen ließ.
„Ich kann mir nichts Himmlischeres vorstellen… aber ich muß hören, was Ian sagt. Vielleicht geht er Kricket spielen.“
„Kommt nach dem Essen runter, dann besprechen wir es bei einem Glas Wein.“
Um sechs Uhr war Robbie gebadet, gefüttert – mit dem saftigen Pfirsich – und in sein Bettchen schlafen gelegt. Jill duschte, zog das kühlste Kleidungsstück an, das sie besaß, einen baum wollenen Morgenrock, und ging in die Küche hinunter, um das Abendessen zu machen.
Küche und Eßzimmer, nur durch die schmale Treppe ge trennt, nahmen das gesamte Erdgeschoß des Hauses ein, waren aber dennoch nicht groß. Die Haustür führte direkt hier hinein, so daß kein Platz war, um Mäntel aufzuhängen oder einen Kinderwagen abzustellen. Das Fenster auf der Eßzim merseite ging auf die Straße hinaus, aber die Küche hatte eine große Glastür, die vermuten ließ, daß dort einmal ein Balkon gewesen war, vielleicht mit ein paar Stufen, die in den Garten hinunterführten. Balkon und Stufen waren längst zerfallen – vielleicht abgerissen –, verschwunden, und die Glastür öffnete sich ins Leere, tief unten war nur der Hof. Bevor Robbie gebo ren war, hatten sie die Tür bei warmer Witterung offenstehen lassen, doch nach seiner Geburt hatte Jan sie sicherheitshalber zugenagelt, und so war sie seither geblieben.
Der gescheuerte Kieferntisch stand vor dieser Tür. Jill setzte sich an den Tisch und schnitt Tomaten für den Salat in Scheiben, wobei sie geistesabwesend in den gräßlichen Garten sah. Er war von hohen, zerbröckelnden Ziegelmauern umschlos sen, und es war ein bißchen, als blicke man auf den Grund eines Brunnens hinab. Gleich beim Haus war der gepflasterte Hof, dann kamen ein Stück wucherndes Gras, danach Verwüstung, zertrampelte Erde, alte Papiertüten, die ständig hereingeweht wurden, und der Baum.
Jill war auf dem Land geboren und aufgewachsen und mochte es kaum glauben, daß ein, Garten sie wahrhaftig absto ßen konnte, und zwar so sehr; daß sie, selbst wenn es einen Zu gang gegeben hätte, ihre Wäsche nicht draußen aufhängen, ge schweige denn ihr Kind dort spielen lassen würde.
Und was den Baum anging – den Baum haßte sie regelrecht. Es war ein Ahorn, aber Lichtjahre entfernt von den freund lichen Ahornbäumen ihrer Kindheit, die gut zum Klettern und im Sommer schattig waren und die im Herbst geflügelte Samenkapseln abwarfen. Dieser hier hätte niemals wachsen dürfen, hätte nie gepflanzt werden, nie eine solche Höhe, eine solche Dichte, eine so düstere, bedrückende Größe erreichen dürfen. Er sperrte den Himmel aus, und seine Düsternis schreckte jegliches Leben ab, ausgenommen die Katzen, die schreiend auf den Mauern umherschlichen und auf der spär lichen Erde ihr Geschäft verrichteten. Wenn der Baum im Herbst seine Blätter verlor und Ian trotz Katzendreck tapfer hinausging, um das Laub zu verbrennen, entstand ein schwar zer, stinkender Qualm, als hätten die Blätter in den Sommer monaten alles, was in der Luft schmutzig, ekelhaft oder giftig war, in sich aufgenommen.
Ihre Ehe war glücklich, und die meiste Zeit hatte Jill nicht den Wunsch, daß sich irgend etwas ändern würde. Aber der Baum brachte ihre schlechtesten Seiten zum Vorschein, er flößte ihr den Wunsch ein, reich zu sein, so daß sie auf die Kosten pfeifen und ihn beseitigen lassen könnte.
Manchmal äußerte sie dies laut zu Ian. „Ich wünschte, ich hätte ein riesiges eigenes Einkommen. Oder einen sagenhaft reichen Verwandten. Dann könnte ich den Baum fällen lassen. Warum hat keiner von uns eine Märchenfee als Patin? Hast du nicht irgendwo eine versteckt?“
„Du weißt, ich habe nur Edwin Makepeace, und der taugt ungefähr soviel wie ein verregnetes Wochenende im No vember.“
Edwin Makepeace war ein regelrechter Familienwitz, und was Ians
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