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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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als Ian aus dem Büro nach Hause kam.
    „Hallo, Liebling.“
    Er schloß die Tür, warf seine Aktenmappe hin, gab Jill einen Kuß. Er setzte sich auf einen Stuhl, und sie sahen sich über den Küchentisch hinweg an. Er sagte: „Es ist etwas ganz Merkwürdiges passiert.“
    Jill war sehr gespannt. „Was schönes Merkwürdiges oder was schrecklich Merkwürdiges?“
    Grinsend zog er einen Brief aus seiner Tasche und warf ihn ihr zu. „Lies mal.“
    Verwundert nahm Jill das Schreiben und faltete es ausein- ander. Es war ein langer, maschinengeschriebener Brief. Von Edwin.
     
     
    Mein lieber Jan!
     
    Ich schreibe, um mich für den schönen Abend bei Euch und das ausgezeichnete Essen zu bedanken und Dir zu sagen, wie sehr ich es zu schätzen weiß, daß Du mich hin und zurück gefahren hast. Ich muß sagen, es geht mir gegen den Strich, die hor- renden Taxipreise zu bezahlen. Es hat mich gefreut, Euer Kind und Euer Haus zu sehen. Ihr habt jedoch offensichtlich ein Problem mit Eurem Garten, und ich habe mir darüber ein paar Gedanken gemacht.
    Zuallererst müßt Ihr den Baum loswerden. Ihr dürft ihm auf gar keinen Fall selber zu Leibe rük-ken. Es gibt eine Reihe Fachbetriebe in London, die auf solche Arbeiten spezialisiert sind, und ich habe mir die Freiheit genommen, drei zu beauftragen, bei Euch vorbeizukommen, wann es Euch paßt, und Kostenvoranschläge zu machen. Ist der Baum erst weg, werdet Ihr Euch besser überlegen können, was Ihr mit Eurem Grundstück anstellen wollt, doch fürs erste würde ich folgendes vorschlagen.
     
    Von hier ab las sich der Brief wie eine Bauanleitung. Die beste henden Mauern reparieren, neu verfugen und weiß streichen. Auf den Mauern einen Gitterzaun gegen unerwünschte Blicke errichten. Das Erdreich reinigen und ebnen und mit Platten be legen – zur leichteren Reinigung in einer Ecke unauffällig eine Abflußrinne installieren. Vor dem Küchenfenster ein Holz podest – vorzugsweise Teak – errichten, auf Stahlträger ge stützt, und mit einer Holztreppe als Zugang zu dem Garten darunter.
     
    Ich glaube [fuhr Edwin fort], hiermit wären die baulichen Notwendigkeiten mehr oder weniger ab gedeckt. Ihr möchtet vielleicht vor einer der Mau ern ein erhöhtes Blumenbeet oder rings um den Stumpf des gefällten Baumes einen kleinen Stein garten anlegen, aber das liegt ganz bei Euch.
    Bleibt noch das Problem mit den Katzen. Auch hierüber habe ich ein paar Erkundigungen einge zogen und erfahren, daß es ein ausgezeichnetes Ab wehrmittel gibt, das gefahrlos angewendet werden kann, wo Kinder sind. Ein, zwei Spritzer dürften hier Abhilfe schaffen, und sind Erdreich und Gras erst mit Platten belegt, sehe ich keinen Anlaß, wes wegen die Katzen wiederkommen sollten, sei es aus natürlichen oder anderen Bedürfnissen.
    Das alles wird sicher eine Menge Geld verschlin gen. Es ist mir klar, daß es bei der Inflation und den steigenden Lebenshaltungskosten für ein junges Paar nicht immer leicht ist, über die Runden zu kommen. Und ich möchte Euch gerne helfen. Ich habe Euch zwar in meinem Testament bedacht, aber ich halte es für viel vernünftiger, Euch das Geld jetzt zu vermachen. Dann könnt Ihr Euch Eu ren Garten vornehmen, und ich werde hoffentlich das Vergnügen haben, ihn fix und fertig zu sehen, bevor ich meinem lieben Freund Edgar folge und von hinnen scheide.
    Übrigens, Deine Mutter hat durchblicken lassen, daß Ihr auf ein vergnügliches Wochenende verzich tet habt, um mich am Abend von Edgars Beerdigung aufzuheitern. Du bist genauso liebenswert wie sie, und ich bin glücklicherweise in einer finanziellen Lage, die mir erlaubt, meine Schulden zu begleichen.
     
    Mit den besten Wünschen
    Dein Edwin
     
     
    Edwin. Sie konnte seine krakelige Unterschrift kaum sehen, weil ihre Augen voller Tränen waren. Sie stellte sich vor, wie er in seinem düsteren Häuschen in Woking saß, in ihre Probleme vertieft, sich Lösungen überlegte, sich die Zeit nahm, geeignete Firmen herauszusuchen, vermutlich endlose Telefongesprä che führte, kleine Berechnungen anstellte, kein winziges Detail vergaß, sich alle Mühe gab…
    „Na?“ sagte Ian leise.
    Die Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie versuchte, sie mit einer Hand wegzuwischen.
    „Das hätte ich nie gedacht. Ich hätte nie gedacht, daß er so etwas tun würde. 0 Ian, und wir waren so gemein.“
    „Du nicht. Du weißt ja nicht mal, was gemein sein heißt.“
    „Ich… ich hatte keine Ahnung, daß er überhaupt Geld

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