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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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gesehen?“
    „Dachse?“ Er wußte nicht, ob Mr. Thomas ihn auf den Arm nahm. „Nein.“
    „Geh mal im Zwielicht ins Tal runter, dann kannst du Dachse sehen. Und wenn du die Klippen runtergehst, kannst du die Seehunde beobachten. Wie geht’s Sarah?“
    „Gut.“ Zumindest hoffte er, daß es ihr gutging. Sie erwar tete in zwei Wochen ihr erstes Baby, und er war mächtig er schrocken, als er seine schlanke, hübsche Schwester auf einen so kolossalen Umfang angeschwollen sah. Nicht, daß sie nicht trotzdem hübsch wäre. Bloß gewaltig.
    „Sicher hilfst du Will auf dem Hof.“
    „Ich bin früh aufgestanden und hab ihm beim Melken zuge guckt.“
    „Wir machen noch einen Bauern aus dir. So, sehen wir mal nach… ein Pfund Mehl, ein Glas Pulverkaffee, drei Pfund Zucker…“ Er packte alles in den Korb. „Nicht zu schwer für dich?“
    „Nein, das schaff ich schon.“ Er bezahlte aus Sarahs Geld börse und bekam einen Riegel Milchschokolade geschenkt. „Danke schön.“
    „Das stärkt dich für den Weg bergauf zum Hof. Paß gut auf.“
     
     
    Mit dem Korb am Arm verließ Oliver das Dörfchen, über querte die Hauptstraße und gelangte auf den schmalen Pfad, der sich das Tal hinauf zu Will Rudds Hof wand. Es war ein herrlicher Spaziergang; ein Flüßchen begleitete den Weg, wechselte zuweilen die Seite, so daß hin und wieder eine kleine steinerne Brücke zu überqueren war, wo es sich gut übers Geländer beugen und nach Fischen und Fröschen Aus schau halten ließ. Es war eine offene Heidelandschaft, mit gelbbraunem Farngestrüpp und Stechginster durchsetzt. Die kräftigen Ginsterstämme lieferten den Brennstoff für Sarahs Feuer – neben dem Treibholz, das sie auf ihren Spaziergängen am Meer sammelte. Das Treibholz spuckte und roch nach Teer, aber der Ginster verbrannte sauber zu weißglühender Asche.
    Auf halbem Wege talaufwärts gelangte er zu dem einzeln stehenden Baum. Eine alte Eiche, die ihre Wurzeln in das Ufer des Flüßchens gegraben, den Winden von Jahrhunder ten getrotzt und, mißgestaltet und verrenkt gewachsen, eine ehrwürdige Reife erreicht hatte. Ihre Zweige waren kahl, die abgefallenen Blätter bedeckten den Erdboden, und als Oliver den Hügel heruntergekommen war, hatte er das Laub mit den Schuhspitzen seiner Gummistiefel hochgeworfen. Als er aber jetzt hinkam, blieb er entsetzt und angewidert stehen, denn mitten zwischen den Blättern lag der Kadaver eines jüngst getöteten Kaninchens, das Fell zerrissen, und aus der Wunde in seinem Bauch quollen grauenhafte rote Eingeweide.
    Ein Fuchs vielleicht, mitten in seinem Imbiß aufgeschreckt. Vielleicht lauerte er just in diesem Moment im hohen Farn kraut, mit kalten, gierigen Augen. Oliver schaute sich um, doch nichts rührte sich, nur der Wind, der die Blätter bewegte. Oliver fürchtete sich. Etwas trieb ihn, nach oben zu blicken, und hoch am blassen Novemberhimmel sah er einen Falken schweben, der darauf wartete, herabzustoßen. Schön und todbringend. Das Land war grausam. Tod, Geburt, Über leben waren ringsum. Er beobachtete den Falken ein Weil chen, dann eilte er, einen großen Bogen um das tote Kaninchen schlagend, den Hügel hinauf.
    Es war tröstlich, wieder in das Bauernhaus zu kommen, die Stiefel auszuziehen und in die warme Küche zu gehen. Der Tisch war fürs Mittagessen gedeckt, und dort saß Will und las die Zeitung, aber als Oliver erschien, legte er sie beiseite.
    „Wir dachten schon, du hast dich verlaufen.“
    „Ich hab ein totes Kaninchen gesehen.“
    „Die gibt’s hier jede Menge.“
    „Und einen Falken, der hat gelauert.“
    „Ein kleiner Turmfalke. Den hab ich auch gesehen.“
    Sarah stand am Herd und schöpfte Suppe in Schalen. Außer dem gab es eine Schüssel mit flockigem Kartoffelbrei und einen Laib Mischbrot. Oliver bestrich eine Scheibe mit Butter, und Sarah setzte sich ihm gegenüber, mit etwas Abstand vom Tisch, wegen ihres Leibesumfangs.
    „Hast du den Laden gleich gefunden?“
    „Ja, und da war ein Mann, riesengroß, er hatte rote Haare und einen roten Bart. Er hieß Ben.“
    „Das ist Ben Fox. Will hat ihm oben auf dem Hügel ein Häuschen vermietet. Von deinem Zimmerfenster aus kamst du seinen Schornstein sehen.“
    Das hörte sich unheimlich an. „Was macht er?“
    „Er ist Holzschnitzer. Er hat da oben eine Werkstatt, und er verdient nicht schlecht. Er lebt allein, abgesehen von einem Hund und ein paar Hühnern. Es führt kein Fahrweg zu seinem Haus, deshalb stellt er seinen Lieferwagen

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