Das blaue Zimmer
und spähte durch die schmierige Scheibe.
„Was ist denn das?“
„Das ist… “ Jill trat neben ihn und blickte gequält auf das vertraute Grauen da unten. „Das ist der Garten. Bloß, wir be nutzen ihn nicht, weil er so dreckig ist. Die Katzen machen dort ihr Geschäft. Und wir können auch gar nicht hinkommen. Wie du siehst.“
„Auch nicht übers Souterrain?“
„Das Souterrain ist vermietet. An eine Freundin. Delphine heißt sie.“
„Stört es sie nicht, in Tuchfühlung mit so einem Schuttplatz zu wohnen?“
„Sie – sie ist nicht oft hier. Meistens ist sie auf dem Land.“
„Hmm.“ Es folgte ein langes, verstörendes Schweigen. Ed win betrachtete den Baum, seine Augen schweiften von der schmuddeligen Wurzel bis zu den obersten Zweigen. Seine Nase war wie ein Zeigestock, und die Sehnen an seinem Hals standen vor wie Seile.
„Warum fällt ihr den Baum nicht?“
Jill warf Ian einen gequälten Blick zu. Hinter Edwins Rüc ken verdrehte er die Augen gen Himmel, aber er sagte ganz sachlich: „Das ist ziemlich schwierig. Er ist sehr mächtig, wie du siehst.“
„Schrecklich, so einen Baum im Garten zu haben.“
„Ja“, pflichtete Jill ihm bei. „Es ist sehr unerfreulich.“
„Warum unternehmt ihr nichts dagegen?“
Ian sagte rasch: „Der Kaffee ist fertig. Gehen wir nach oben.“
Edwin drehte sich zu ihm um. „Ich hab gesagt, warum unternehmt ihr nichts dagegen?“
„Tu ich bestimmt. Eines Tages“, sagte Ian.
„Sinnlos, auf ‘eines Tages’ zu warten. Eines Tages bist du so alt wie ich, und der Baum steht immer noch da.“
„ Kaffee?“ fragte Ian. – „Und die Katzen sind ungesund. Ungesund für Kinder, die sich dort aufhalten.“
„Ich lasse Robbie nicht in den Garten“, sagte Jill zu ihm. „Ich könnte es gar nicht, selbst wenn ich wollte, weil es kei nen Weg hinein gibt. Ich glaube, früher gab’s hier mal einen Balkon und eine Treppe in den Garten, aber davon war schon nichts mehr da, als wir das Haus gekauft haben, und irgend wie… wir sind nie dazu gekommen, sie zu erneuern.“ Sie wollte auf keinen Fall, daß es sich anhörte, als wären sie und Ian mittellos und bedauernswert. „Ich meine, es gab soviel anderes zu tun.“
Edwin sagte wieder „hmm“. Die Hände in den Taschen, stand er da und sah hinaus, und nach einer Weile fragte sich Jill, ob er im Begriff sei, in eine Art Trance zu verfallen. Dann aber wurde er ganz munter, nahm die Hände aus den Taschen und sagte unwirsch zu Ian: „Ich dachte, du wolltest uns Kaf fee machen? Wie lange sollen wir noch warten?“
Er blieb noch eine Stunde, und seine sterbenslangweiligen Anekdoten strömten unaufhörlich. Schließlich schlug die Uhr einer benachbarten Kirche elf, und Edwin stellte seine Kaffee tasse hin, sah auf seine Uhr und verkündete, es sei Zeit, daß Ian ihn zum Hotel fahre. Sie gingen alle nach unten. Ian nahm seine Autoschlüssel und machte die Haustür auf. Jill reichte Edwin seinen Stock.
„War ein netter Abend. War schön, mal euer Haus zu sehen.“
Sie gab ihm wieder einen Kuß. Er ging hinaus, die Stufen hin unter zum Auto. Ian, bemüht, nicht zu eilfertig zu erscheinen, hielt den Wagenschlag auf. Der alte Herr stieg vorsichtig ein, verstaute seine Beine und seinen Stock. Ian machte die Tür zu, ging um das Auto herum und stieg auf der Fahrerseite ein. Im mer noch lächelnd, winkte Jill ihnen nach. Erst als das Auto am Ende der Straße um die Ecke verschwand, fiel das Lächeln von ihr ab, und sie ging erschöpft ins Haus, um den Abwasch in Angriff zu nehmen.
Später, im Bett, sagte Jill: „So schlimm war er gar nicht.“
„Nein, das nicht, aber er nimmt alles so selbstverständlich, als wären wir ihm etwas schuldig. Er hätte dir wenigstens eine einzige rote Rose oder eine Tafel Schokolade mitbringen können.“
„Das ist nun mal nicht seine Art.“
„Und seine Geschichten! Armer Edwin, ich glaube, er ist ein geborener Langweiler. Darauf versteht er sich glänzend.“
„Wenigstens mußten wir uns nicht überlegen, was wir sagen sollten.“
„Das Essen war köstlich, und du warst lieb zu ihm.“ Er gähnte mächtig und wälzte sich auf die andere Seite; er wollte nur noch schlafen. „Jedenfalls haben wir’s hinter uns. Das war das Ende vom Lied.“
Aber da hatte Ian sich geirrt. Es war nicht das Ende vom Lied, wenn auch zwei Wochen vergingen, bevor etwas geschah. Es war wieder Freitag, und Jill war wie gewöhnlich in der Küche und machte das Abendessen,
Weitere Kostenlose Bücher