Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
den Durst, das Verlangen nach Blut, seinem Blut.
Gerade wollte sie sich nach einem anderen Zugang zu diesem Steinkasten umsehen, in dem sich ihr Sohn verbarg, als sie knirschende Schritte hörte. Jemand kam über den Kies des Daches auf sie zu.
Es war der alte Jäger. Setrakian. Trotz der Dunkelheit und obwohl sein Körper, dessen Blut sehr langsam floss, nur wenig Wärme abgab, konnte sie ihn genau erkennen. Er hielt ein Silberschwert in der Hand.
Er wirkte klein, geradezu winzig, aber inzwischen kamen ihr alle Menschen klein vor. Winzig und armselig, Wesen, deren erbärmliche Intelligenz ihnen gerade so das Überleben ermöglichte. Die Menschen waren eine niedrigere Stufe der Evolution. Aussortiert. Überholt. Nicht in der Lage, die Botschaft des Meisters zu begreifen.
Der Meister … Er war immer in ihr. In jedem von ihnen. Sie alle waren Teile eines perfekten Ganzen.
Setrakian kam weiter auf sie zu, sein Schwert funkelte grell in ihren Augen, das Schwert, mit dem er ihr den Kopf abschlagen wollte … Und in diesem Moment sprach der
Meister in ihr, und als er in ihr sprach, sprach er auch im Kopf des alten Mannes.
Abraham.
Es war der Meister, zweifellos, und doch war es nicht jene Ehrfurcht gebietende Stimme, wie Kelly sie kannte.
Abraham. Nicht.
Es war die Stimme einer Frau. Kelly hatte sie noch nie in ihrem Leben gehört.
Setrakian dagegen erkannte sie. Kelly spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.
Ich lebe auch in ihr … Ich lebe in ihr …
Der alte Jäger hielt inne, und Kelly sah sein Zögern, die Schwäche in seinen Augen. Und ergriff ihre Chance. Sie ließ den Kiefer herunterklappen, spannte die Muskeln … Doch plötzlich riss Setrakian das Schwert nach oben, stieß einen Schrei aus und ging auf sie los. Das Funkeln der Silberklinge brannte sich in ihre Augen.
Sie hatte keine Wahl. Sie wirbelte herum, rannte an der Brüstung entlang, sprang und kroch die Wand des gegenüberliegenden Gebäudes hinunter. Auf dem brachliegenden Grundstück neben der Pfandleihe angekommen, warf sie einen letzten, ebenso zornigen wie wehmütigen Blick zurück.
Der alte Mann stand allein auf dem Dach und sah zu ihr hinunter.
Eph ging zu seinem Sohn, griff ihn am Arm und zog ihn außer Reichweite des glühend heißen UV-Lichts der Lampe, die am Fenster stand.
»Lass mich!«, rief Zack.
»Kumpel«, sagte Eph sanft, um ihn zu beruhigen. Um sie beide zu beruhigen. »Partner. Z. Hey!«
»Du wolltest sie umbringen!«
Eph wusste nicht, was er darauf sagen sollte. In gewisser Weise hatte sein Sohn Recht. »Sie … sie ist bereits tot.«
»Für mich nicht!«
»Aber du hast sie doch gesehen, Z.« Eph wollte einer Diskussion über den Stachel in Kellys Mund aus dem Weg gehen. »Du hast sie gesehen. Das ist nicht mehr deine Mom. Es tut mir so leid.«
»Du musst sie nicht umbringen!« Zacks Stimme war noch immer heiser.
»Doch, das muss ich. Das muss ich.« Eph versuchte, Zack in den Arm zu nehmen, doch der Junge wandte sich schroff ab, umklammerte Nora, in diesem Augenblick offenbar die nächstbeste Ersatzmutter, und weinte sich an ihrer Schulter aus.
Nora sah Eph aufmunternd an. Der seufzte lediglich und drehte sich zur Tür, wo Vasiliy Fet stand.
»Gehen wir!«, sagte Eph.
Die Nachtpatrouille
Die fünf Cops außer Dienst marschierten weiter die Straße hinauf, Richtung Marcus Garvey Park, während ihr Sergeant in seinem Privatwagen nebenher fuhr. Sie trugen keine Abzeichen, mussten auf keine Überwachungskameras achten und keine Berichte abliefern. Es gab keine Anhörungen, keine Disziplinarausschüsse, keine Dienstaufsichtsbehörde mehr. Hier ging es nur um das Recht des Stärkeren. Hier ging es darum, Ordnung in das Chaos zu bringen, die Dinge, mit welchen Mitteln auch immer, geregelt zu kriegen.
Das FBI hatte die Angelegenheit als »übertragbare Manie« bezeichnet, als »seucheninduzierte Demenz«.
Was war nur aus den guten alten »Verbrechern« geworden?
Die Regierung plante, die State Troopers einzusetzen. Die Nationalgarde. Die Armee.
Warum ließen sie es nicht erst einmal die einfachen Gesetzeshüter versuchen?
»Hey! Was zum …«
Einer der Männer hielt sich den Arm. Ein tiefer Schnitt war dort zu erkennen, der Stoff des Ärmels war glatt durchtrennt.
Der nächste Stein landete vor ihren Füßen.
»Schmeißen die jetzt mit Steinen?«
Sie beobachteten die Dächer.
»Da!«
Ein großer behauener Quader in Form einer Lilie flog auf sie zu. Sie sprangen nach allen Seiten in Deckung.
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