Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
vertrieben. Vielleicht war es aber auch ihre schlichte Präsenz, die alle anderen Lebensformen in die Flucht schlug.
»Hier muss irgendwo ein Nest sein«, sagte Vasiliy.
Sie blieben vor einer Bar stehen. Ephs Kehle brannte vor Durst. Er zog an der Tür. Nicht verschlossen. Es war eine altehrwürdige Kneipe, die seit über hundertfünfzig Jahren Bier ausschenkte - die älteste Gaststätte New Yorks, wenn man dem Schild neben der Tür glauben wollte. Drinnen befanden sich jedoch weder Gäste noch ein Wirt. Nur das leise Murmeln eines Fernsehers, der in der Ecke angebracht war, durchbrach die Stille.
Eph und Vasiliy gingen in den Nebenraum, der etwas dunkler und genauso ausgestorben war. Auf den Tischen standen halbgeleerte Bierkrüge, über einigen Stühlen hingen noch Jacken und Mäntel. Die Party hatte ein plötzliches und unerwartetes Ende genommen.
Eph kontrollierte die Toiletten - das Männerklo hatte diese riesigen, uralten Urinale, die direkt mit einer Rinne im Boden verbunden waren. Auch hier war niemand. Als er wieder den Nebenraum betrat, wirbelten seine Stiefel Sägespäne auf dem Boden auf.
Vasiliy stellte den Rollkoffer ab und setzte sich auf einen Stuhl. Eph ging hinter die Theke, aber er fand weder Whiskeyflaschen noch Mixer oder Eiskübel. Hier gab es nur Zapfhähne und reihenweise geduldig wartende Krüge. Hier gab es nur Bier. Eph hätte etwas Stärkeres bevorzugt, aber er musste sich mit der Spezialität des Hauses begnügen. Die
alten Zapfhähne waren Dekoration, die neueren jedoch funktionierten prächtig. Er füllte zwei Krüge mit dunklem Draught. »Worauf trinken wir?«
Vasiliy stand auf, ging zur Theke und griff nach einem der Krüge. »Auf viele weitere tote Vampire.«
Genüsslich schütteten sie das Bier in sich hinein.
»Sieht so aus, als hätten es die Leute ziemlich eilig gehabt, von hier zu verschwinden«, sagte Eph nach einer Weile.
»Sperrstunde.« Vasiliy wischte sich den Schaum von seiner dicken Oberlippe. »Wie in der ganzen Stadt.«
Die Stimme aus dem Fernseher erregte ihre Aufmerksamkeit, also gingen sie in den Vorderraum zurück. Ein Reporter berichtete live aus einem Städtchen namens Bronxville. Eine der vier Überlebenden von Flug 753 hatte dort gewohnt. Rauch stieg über dem Ort auf, und eine Laufschrift unter dem Bild verkündete: UNRUHEN IN BRONXVILLE DAUERN AN.
Vasiliy zappte durch die Sender. Die Wall Street befürchtete einen massiven Konsumeinbruch, verursacht durch eine Epidemie, die sogar die H1N1-Grippewelle in den Schatten stellte; einige Broker galten als vermisst; man sah, wie die Börsenmakler untätig herumsaßen, während die Aktienkurse in den Keller purzelten. NY1 berichtete hauptsächlich über die Verkehrslage: Alle Zufahrtsstraßen nach Manhattan waren mit Leuten verstopft, die der drohenden Quarantäne entkommen wollten, Flüge und Zugverbindungen waren hoffnungslos überbucht, auf den Bahnhöfen und Flughäfen herrschte reines Chaos.
Eph hörte das Knattern eines Helikopters irgendwo über ihnen. Hubschrauber waren derzeit die einzig sichere Möglichkeit, Manhattan zu verlassen. Vorausgesetzt, man besaß einen. Wie beispielsweise Eldritch Palmer …
Hinter der Theke entdeckte Eph einen dieser altmodischen Telefonapparate mit Wählscheibe. Als er das knisternde Freizeichen hörte, rief er in der Pfandleihe an.
Nora nahm ab. »Wie geht’s Zack?«, fragte Eph, bevor sie mehr als »Hallo« sagen konnte.
»Besser. Er konnte sich eine Zeit lang gar nicht mehr beruhigen.«
»Hat sie sich noch mal blicken lassen?«
»Nein. Setrakian hat sie vom Dach gescheucht.«
»Vom Dach? Himmel!« Eph war übel. Er zapfte sich ein weiteres Bier. »Wo ist Z jetzt?«
»Oben. Soll ich ihn holen?«
»Nein. Besser, ich rede direkt mit ihm, wenn ich zurückkomme.«
»Ja, da hast du Recht. Habt ihr den Sarg zerstört?«
»Nein. Er ist verschwunden.«
»Verschwunden?«
»Offensichtlich ist der Meister nicht allzu schwer verletzt … Und weißt du, was merkwürdig ist? Da unten waren seltsame Zeichnungen an den Wänden, mit Farbe aufgesprüht …«
»Graffiti?«
Eph klopfte auf seine Jackentasche, prüfte, ob er das rosa Handy noch bei sich hatte. »Keine Ahnung. Ich hab ein Video gemacht.« Er legte den Hörer für einen Moment zur Seite, um einen Schluck Bier zu trinken. »Hier ist es wirklich unheimlich, das kann ich dir sagen. Die Stadt ist so ruhig.«
»Hier nicht. Die Sonne scheint sie inzwischen nicht mehr so abzuschrecken wie zuvor. Sie werden
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