Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
neugierig in eines der hell erleuchteten Schaufenster, an denen sie vorbeikamen; statt der üblichen Prostituierten stand hier ein Transvestit im Fenster. Sie waren in De Wallen, Amsterdams Rotlichtviertel. Der Antiquar strich sich über den Schnurrbart und richtete den Blick wieder auf das Kopfsteinpflaster. »Wie dem auch sei, das Buch hat einen gewissen Ruf. Ich würde mich nie auch nur in seine Nähe wagen. Mynheer Blaaks Geschmack dagegen tendiert eher zum Obskuren und Exotischen - er ist ein leidenschaftlicher Sammler, ein connaisseur ersten Ranges. Und seine Schecks sind stets gedeckt. Trotzdem fühle ich mich verpflichtet, Sie zu warnen. Des Öfteren hat man versucht, Mynheer Blaak zu täuschen.«
»Ich verstehe.«
»Natürlich konnte ich keine Verantwortung für das Schicksal dieser betrügerischen Händler übernehmen. Das Interesse Mynheer Blaaks an dem Buch ist so groß, dass er mir selbst bei einer fehlgeschlagenen Transaktion die Hälfte der Vermittlungsgebühr zukommen ließ - sodass mir ausreichend Mittel zur Verfügung standen, um die Suche fortzusetzen
und weitere Rendezvous mit potenziellen Verkäufern zu arrangieren.« Mit geübtem Griff zog der Antiquar ein Paar feiner weißer Baumwollhandschuhe aus der Tasche und streifte sie über die manikürten Hände.
»Verzeihen Sie meine Direktheit«, sagte Setrakian, »aber ich bin nicht nach Amsterdam gekommen, um durch die zugegebenermaßen wunderschönen Grachten zu spazieren. Wie gesagt: Ich bin ein abergläubischer Mensch, und je eher die Bürde dieses Buches von mir genommen wird, desto besser. Wobei ich mir momentan mehr Sorgen um Diebe als um Flüche mache.«
»Ich verstehe.«
»Wo und wann wird die Übergabe stattfinden?«
»Dann ist das Buch also hier?«
Setrakian nickte. »Ja.«
Der Antiquar deutete auf Setrakians Handkoffer, ein schwarzes Portmanteau aus steifem Leder mit großen Schnallen. »Sie tragen es bei sich?«
»Nein, das wäre viel zu riskant.« Nervös ließ Setrakian den Koffer von einer Hand in die andere gleiten. »Aber es befindet sich in Amsterdam. Ganz in der Nähe.«
»Ich bitte meine Neugier zu entschuldigen. Doch andererseits - wenn Sie wirklich im Besitz des Occido Lumen sind, dann ist Ihnen sicher auch sein Inhalt vertraut. Seine raison d’être .«
Setrakian blieb stehen. Erst jetzt bemerkte er, dass sie die belebten Grachten verlassen hatten und sich in einer kleinen Seitengasse befanden. »In der Tat. Doch es wäre sehr unbedacht von mir, allzu viel preiszugeben.«
Der Antiquar verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Wie wahr. Und das erwarte ich auch nicht von Ihnen. Jedoch - könnten Sie mir nur einen kurzen Abriss Ihrer Eindrücke geben? Nur ein paar Worte.«
Aus den Augenwinkeln meinte Setrakian ein metallisches Blitzen hinter dem Rücken des Antiquars zu bemerken. Oder
waren es nur die weißen Handschuhe? Was auch immer, er hatte keine Angst - er hatte sich auf diesen Augenblick vorbereitet. »Mal’akh Elohim«, sagte er. »Die Boten Gottes. Engel. Erzengel. In diesem Fall: gefallene Engel. Und ihre degenerierte Nachkommenschaft hier auf Erden.«
Die Augen des Antiquars schienen geradezu aufzuleuchten. »Wunderbar, Monsieur Pirk. Mynheer Blaak kann es kaum erwarten, Sie zu treffen. Er wird in Kürze Kontakt zu Ihnen aufnehmen.«
Sie schüttelten sich die Hände, und obwohl Setrakian schwarze Lederhandschuhe trug, war er sich sicher, dass der Antiquar seine verkrüppelten Finger ertasten konnte. Im Gesicht des Mannes zeigte sich jedoch keinerlei Regung.
»Soll ich Ihnen die Adresse meines Hotels nennen?«, fragte Setrakian.
Der Antiquar wedelte leicht verächtlich mit der Hand. »Damit habe ich nichts mehr zu tun, Monsieur Pirk. Ich wünsche Ihnen viel Glück.« Und dann ging er in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.
»Aber wie kann er mich erreichen?«, rief ihm Setrakian hinterher.
»Auf die eine oder andere Weise wird ihm das mit Sicherheit gelingen«, erwiderte der Antiquar über die samtgepolsterte Schulter hinweg. »Noch einen wunderschönen Abend, Monsieur Pirk.«
Setrakian sah noch, wie der Mann auf das Schaufenster von eben zuging und höflich dagegen klopfte, dann schlug er den Mantelkragen hoch, ließ das trübe Wasser der Grachten hinter sich und ging nach Westen in Richtung Dam Platz.
Mit seinen zahllosen Kanälen war Amsterdam ein eher untypischer Zufluchtsort für einen strigoi , war es ihnen doch von Natur aus unmöglich, fließendes Wasser zu überqueren.
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