Das Blut der Azteken
erkannte ich einen kleinen Weidenkorb auf der anderen Seite des Flusses, wo die Frau sich versteckt hatte. Ich sah Tortillas herausragen.
So lange war ich nun schon auf der Flucht, dass ich mich fragte, ob es sich womöglich um eine Falle handelte. Vielleicht erwartete mich ja ihr bösartiger Ehemann, der von einer reichen Belohnung träumte, mit einer Machete. Allerdings waren meine Möglichkeiten begrenzt. Ich musste etwas essen. Irgendwie gelang es mir, mich aufzurappeln. Ich watete durch das hüfthohe Wasser, packte den Korb und stopfte mir schon auf dem Rückweg die erste Tortilla in den Mund.
Dann aß ich, bis mir fast der Bauch platzte. Anschließend kroch ich zurück auf meinen Felsen in der Sonne, ganz wie ein gesättigtes Krokodil. Meine Stimmung besserte sich, und meine Muskeln bekamen neue Kraft.
Wieder nickte ich ein und schlief einige Stunden lang. Als ich aufwachte, saß die Frau auf dem Felsen am anderen Ufer. Neben ihr lag ein Haufen Kleider.
Ich watete hinüber und setzte mich zu ihr, ohne mir die Mühe zu machen, meine Blöße zu bedecken.
»Gracias«, sagte ich. »Vielen Dank.«
Sie schwieg nur und betrachtete mich aus dunklen, traurigen Augen.
Ich wusste, was für ein Leben sie führte. Eine Bauersfrau war für ihren Mann nichts weiter als ein Arbeitstier. Tagein, tagaus plagte sie sich ab, litt still vor sich hin, alterte rasch und starb jung.
Wir plauderten ein wenig, und als ich sie fragte, wie viele Kinder sie habe, antwortete sie: »Keines. Mein Mann taugt zu nichts, und deshalb schlägt er mich, so wie du geschlagen worden bist.«
An diesem Nachmittag lagen wir zusammen am Flussufer und auch die nächsten vier Tage lang hielten wir es so. Als ich sie schließlich verließ, besaß ich eine Hose und ein Hemd aus grob gewebter Baumwolle und einen Strohhut. Auf der rechten Schulter trug ich den traditionellen Indioumhang, und über meiner linken Schulter hing ein Seil mit einer zusammengerollten Decke, um nachts die Kälte abzuhalten. Die darin verstauten Tortillas würden für mehrere Tage reichen.
Durch die Arbeit im Bergwerk hatte ich kein Gramm Fett mehr auf den Rippen und war außerdem muskulös. Die wenigen Tage hatten mich zwar nicht aufpäppeln können, doch meine Kraft genügte nun wenigstens zum Gehen.
Bevor ich aus meiner Höhle am Flussufer aufbrach, machte ich mich auf die Suche nach einem dicken Ast, der ein wenig länger war als mein Bein und den ich als Spazierstock und Knüppel benutzen konnte. Ein langer, gerader Schössling diente mir, an einem Ende zugespitzt, als Speer. Ich befestigte ein gespaltenes Holzstück an einem langen, schmalen Stück Obsidian, das die Frau mir gegeben hatte, und schärfte es, sodass ich nun auch ein Messer besaß.
Mein struppiges Haar war inzwischen schulterlang, und der Bart reichte mir über den Adamsapfel. Ich wusste, dass ich aussah wie ein Ungeheuer, das dem Totenreich entkommen ist.
In der Ferne kräuselte sich Rauch in den Himmel. Die Frau hatte mich gewarnt, dass dieser Weg zu den Bergwerken führte. Ich berührte die Narbe an meiner Wange, die mich als Bergwerkssklaven auswies. Zum Glück war sie weder sehr groß noch tief und wurde von meinem ungewöhnlich dichten Bart verdeckt. Einem beiläufigen Beobachter wäre sie sicher nicht aufgefallen, doch jemanden, der sich in den Bergwerken auskannte, konnte ich dennoch nicht täuschen.
Ich versteckte mich an einem Abhang im Unterholz und behielt die Straße im Auge, bis es dunkel wurde. Wie auf einer breiten Straße Neuspaniens nicht anders zu erwarten, bestand der Großteil des Verkehrs aus Maultierkarawanen. Sie zogen, beladen mit Vorräten für die Bergwerke, die Straße hinauf und kehrten - erneut bepackt -wieder zurück. Allerdings führte nicht jedes Maultier Silber mit sich. Einige transportierten Werkzeuge, Gerätschaften, die repariert werden mussten, oder Schwefel, Blei und Kupfer, die für die Weiterverarbeitung bestimmt waren.
Bis auf ein paar Indios, die Mais, Bohnen und Agaven mit Maultieren zum Markt brachten, waren wenige Spanier zu Pferde die einzigen Reiter. Zu den Fußgängern gehörten Bergarbeiter, Indios, Mestizen oder Afrikaner, die auf dem Weg zu den Minen waren oder von dort kamen. Die Männer reisten in Gruppen von zehn bis zwölf Personen. Selbst die Reiter waren zu ihrem eigenen Schutz nie ohne Begleitung unterwegs.
Doch das war nicht weiter außergewöhnlich. Die Straßen zwischen den Bergwerken zogen nicht nur die üblichen Banditen, sondern auch
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