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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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den Mörder Ramón. Es gab einen Menschen, der mir erklären konnte, warum diese beiden mich so abgrundtief hassten. Die Frau, die mich großgezogen hatte: Miaha. Ich nahm an, dass sie noch lebte. Sie würde mir beantworten, welches Ereignis aus der Vergangenheit wieder aufgebrochen war wie ein Vulkan und Rauch und Feuer in meine Gegenwart spuckte. Jahrelang hatte ich Bruder Antonio, wenn dieser zu viel Wein getrunken hatte, sagen hören, sie sei mit einem Teil seines Geldes nach Mexiko-Stadt geflohen, und er habe seitdem nie wieder von ihr gehört. Er bezeichnete sie als Hure, doch ich wusste nicht, ob das nur an seiner Wut lag oder ob sie diesen Beruf tatsächlich ausübte.

27
    Am nächsten Morgen hörte ich Hufgetrappel und schlug mich ins Gebüsch, als müsste ich meine Notdurft verrichten. Eine Maultierkarawane, angeführt von einem Spanier zu Pferde, zog vorbei. Nachdem das letzte Maultier vorbeigezogen war, kroch ich aus meinem Versteck. Als ich den Blick des Zauberers auffing, wandte ich mich beschämt ab.
    Die anderen Reisenden, die um uns herum gelagert hatten, machten sich wieder auf den Weg. Doch der Zauberer blieb sitzen, um seine Pfeife zu rauchen. Ich rechnete damit, dass er mir sagen würde, dass ich ihn nicht begleiten könne. Als wir allein auf der Lichtung standen und der Esel beladen war, verschwand der alte Mann für eine Weile im Gebüsch. Als er wiederkam, kauerte er sich neben einen flachen Stein und zerrieb Beeren und Baumrinde zu einem dunklen Brei.
    Er winkte mich heran und trug die Paste auf mein Gesicht, meinen Hals und meine Hände und Füße auf. Die restliche Paste verteilte ich auf meiner Brust. Dann gab er mir eine Hose und ein Hemd aus derber Agavenfaser, die ich anstelle meiner Sachen aus weicher Baumwolle anziehen sollte. Ein alter Hut aus schmutzigem Stroh vervollständigte meine Verwandlung in einen indianischen Bauernjungen.
    »Frauen färben damit ihre Haare«, merkte er an. »Die Paste lässt sich nicht abwaschen, verblasst aber mit der Zeit.«
    Immer noch verlegen, weil ich ihn belogen hatte - und weil ich mich dabei hatte erwischen lassen -, murmelte ich einen Dank.
    Aber er war noch nicht fertig. Er nahm ein Pulver aus einem Beutel und forderte mich auf, es zu schnupfen. Ich nieste, und meine Augen tränten. Dennoch musste ich den Vorgang noch ein paar Mal wiederholen. Meine Nase brannte und pochte.
    Bevor wir uns auf den Weg machten, ließ er mich in seine Spiegel aus poliertem Obsidian schauen. Ich hätte schwören können, dass er schmunzelte, als er mir den Spiegel reichte.
    Meine Nase war dick angeschwollen. Nicht einmal Bruder Antonio hätte mich erkannt, wenn er mir auf der Straße begegnet wäre.
    »Sie bleibt eine Woche so«, erklärte der Zauberer.
    »Und was mache ich dann?«
    »Wieder etwas schnupfen.«
    »Ich mag das Zeug nicht. Gibt es denn keine andere Möglichkeit?«
    »Wir könnten dir die Nase auch abschneiden.«
    Wir beluden den Esel. Als Letztes wurde ein Weidenkorb auf das Tier geschnallt.
    »Was ist in dem Korb?«, fragte ich.
    »Schlangen.«
    Ich erschauderte. Schlangen. Die waren doch sicher nicht giftig, sonst hätte der Zauberer sie ja nicht bei seinen Vorführungen einsetzen können. Aber wer konnte das wissen? Vielleicht hatte der alte Hexer ja einen Pakt mit dem Schlangengott geschlossen und war nun gegen Schlangenbisse immun.
    Er drückte mir die Zügel des Esels in die Hand, und wir machten uns auf den Weg.
    Beim Gehen erklärte er mir, dass spanische Heilmethoden bei Indios nicht anschlugen.
    »Wir sind eins mit dem Land. Die Geister unserer Götter sind überall, in jedem Stein, jedem Vogel, in den Bäumen und im Gras, im Mais, der auf dem Halm wächst, im Wasser des Sees und in den Fischen im Fluss. Die Spanier hingegen haben nur einen einzigen Gott.«
    »Aber haben die Spanier nicht die Indios besiegt?«, wandte ich höflich ein, um den alten Mann nicht zu kränken.
    »Sie haben einen mächtigen Gott, der durch ihre Musketen und Kanonen spricht, und außerdem Pferde, die einen Mann rasch in die Schlacht führen. Doch die Spanier erobern nur, was das Auge sehen kann. Unsere Götter sind immer noch hier.« Er wies auf den Dschungel. »Götter, die Krankheiten durch die Luft tragen, Götter, die die Erde wärmen, damit der Mais uns ernährt, Götter, die Regen bringen, und zornige Götter, die Feuer vom Himmel werfen. All diese Götter haben die Spanier nie bezwungen.«
    So eine lange Ansprache hatte ich von dem alten Mann noch nie gehört.

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