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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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dort niemand mehr?«
    »Ach, die Götter gerieten in Streit. Als sie kämpften, flohen die Menschen aus der Stadt, denn der Tod fiel vom Himmel wie Regen. Die Stadt gibt es noch, doch nur noch die Götter wandeln auf ihren Straßen.«
    Das Wissen des Zauberers stammte nicht aus Büchern, sondern aus den überlieferten Sagen und Legenden. Eines Tages sollte ich mehr über Teotihuacan erfahren, und es würde mich nicht weiter erstaunen, dass der Zauberer Recht gehabt hatte.
    Teotihuacan liegt etwa fünfzig Kilometer nordöstlich von Mexiko-Stadt, ist wirklich eines der Wunder der Neuen Welt und kann den Vergleich mit Rom oder Athen aufnehmen. Die Stadt erstreckt sich über ein riesiges Gebiet, und allein ihr Tempelbezirk ist größer als viele Städte der Azteken oder der Mayas. Es heißt, Teotihuacan sei etwa zur Zeit von Christi Geburt entstanden und untergegangen, als sich das finstere Mittelalter über Europa senkte.
    Mir stockte der Atem, und mein Herz klopfte, als Teotihuacan in Sicht kam. Die beiden gewaltigsten Pyramiden der Welt, die von den Azteken am meisten geliebten und verehrten Bauwerke - der Tempel der Sonne und der Tempel des Mondes - erhoben sich Ehrfurcht gebietend in den Himmel, als wir die verlassene Stadt betraten.
    Eine breite Straße, der Weg der Toten, verbindet die beiden wichtigsten Tempelgruppen miteinander. Sie ist etwa zweieinhalb Kilometer lang und breit genug, dass zwei Dutzend Kutschen nebeneinander herfahren können. Am nördlichen Ende der Stadt steht die Mondpyramide neben einigen kleineren Pyramiden. Im Osten befindet sich die größte Pyramide von allen: die Sonnenpyramide. Ihr Fundament hat einen Durchmesser von mehr als zweihundertdreißig Metern und ragt etwa siebzig Meter hoch empor.
    Vom Weg der Toten aus führt eine große Treppe - Himmelsstufen genannt - die fünf Etagen der Sonnenpyramide hinauf.
    Unweit des Stadtzentrums, östlich vom Weg der Toten, liegt die Zitadelle, ein riesiger eingesackter Hof, der auf allen vier Seiten von Tempeln flankiert wird. In dessen Mitte befindet sich der Tempel von Quetzalcóatl. Dieser Tempel, eine Stufenpyramide wie die der Sonne und des Mondes, ist mit eindrucksvollen Statuen von Quetzalcóatl, der Gefiederten Schlange, und der Feuerschlange verziert, die die Sonne auf ihrer täglichen Reise über den Himmel trägt. Der Tempel ist Angst einflößend und majestätisch.
    Jedes Jahr waren die Aztekenkaiser nach Teotihuacan gekommen, um die Götter zu ehren, und waren den Weg der Toten entlang zum Sonnentempel gegangen. Und nun traten der Zauberer und ich in die Fußstapfen jener alten Herrscher.
    »Sonne und Mond waren Mann und Frau und wurden Götter, als sie sich opferten, um die Erde aus der Dunkelheiten zu befreien, indem sie sich in das goldene Feuer des Tages und das silbrige Licht der Nacht verwandelten«, erklärte der Zauberer.
    Wir standen vor dem Sonnentempel.
    Der alte Mann kicherte. »Die Götter sind noch hier. Du kannst sie spüren. Sie halten dein Herz mit ihrer Faust umklammert, aber sie werden es nicht herausreißen, wenn du sie achtest.«
    Er zog seinen Ärmel hoch und ritzte sich die zarte Haut am Unterarm mit einem Messer aus Obsidian an. Dann ließ er das Blut zu Boden tropfen und reichte mir das Messer.
    Auch ich schnitt mir in den Arm und streckte ihn aus, sodass das Blut hinunterlief.
    Drei Männer und eine Frau traten aus dem Schatten eines Tempels und kamen langsam auf uns zu. Ich erkannte zwar nicht ihre Gesichter, wusste aber sofort, dass sie Magier und Hexen waren. Sie alle waren so alt und ehrwürdig wie der Zauberer.
    »Das sind deine Führer, die dir helfen werden, mit deinen Ahnen zu sprechen«, sagte der Zauberer.
    Bis jetzt hatte ich die Andeutungen des Zauberers, dass ich mit den Göttern sprechen würde, nicht ernst genommen. Doch als ich nun die feierlichen Mienen und die undurchdringlichen Augen der Hexenmeister betrachtete, bekam ich es mit der Angst zu tun. Wie sprach man mit den Göttern?
    Sie brachten mich zu einer schmalen Öffnung in der großen Sonnenpyramide, die so versteckt lag, dass ich sie nie allein gefunden hätte. Der Tunnel führte in eine große Höhle im Inneren der Pyramide.
    In der Mitte des Raums erwartete uns ein Feuer. Ich hörte das Wasser die Wände hinuntertropfen. Es roch nach Moder und Rauch.
    »Jetzt sind wir im Schoß der Erde«, verkündete die Frau. »Vor Tausenden von Generationen sind wir aus den Höhlen ans Licht getreten. Diese Höhle ist die Mutter aller Höhlen,

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