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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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über die Kultur meiner Vorfahren, und meine Hochachtung vor ihnen wuchs. Die Geschichte der Azteken war zwar eine blutige, doch die Indios hatten nicht nur Kriege geführt, sondern auch astronomische Forschungen betrieben, einen Kalender erfunden, unzählige Bücher in einer Bilderschrift verfasst, die der der Ägypter aus der Pharaonenzeit ähnelte, und darüber hinaus erstaunliche Entdeckungen in der Heilkunst gemacht. Wie es hieß, war Tenochtitlán eine ausgesprochen saubere und reinliche Stadt gewesen, aus der die Abfälle täglich mit Booten weggeschafft wurden, um als Dünger zu dienen. Die schwimmenden Gärten schlugen Wurzeln und wurden zu künstlichen Inseln; die Tempel waren die weltweit größten und außerdem Wunderwerke der Baukunst.
    Allerdings musste man zugeben, dass die Azteken nicht in jeglicher Hinsicht zu bewundern waren. Der Blutpakt war grausam und barbarisch - jedoch auch nicht unmenschlicher als das Vorgehen des größten und angesehendsten Imperiums der Geschichte, des Römischen Reiches. Selbst die gewaltigen Opferzeremonien der Azteken, bei denen zwanzigtausend Menschen getötet wurden, übertrafen die Schrecken nicht, die sich in den römischen Arenen abspielten. Nicht nur Tausende von Gladiatoren mussten dort um ihr Leben kämpfen, man ließ auch unzählige unschuldige Christen und andere Sektierer hinrichten oder von wilden Tieren zerreißen - und all das zur Belustigung des Volkes.
    Die Azteken wurden von den Indiostämmen, von denen sie Tribut forderten, nicht mehr gehasst als die Römer von den Völkern, die sie unterdrückten. Bruder Antonio hatte mir erzählt, die Römer hätten einmal zehntausend Juden an einem einzigen Tag kreuzigen lassen, nachdem sie sich gegen das römische Joch und die Tributzahlungen aufgelehnt hatten. Ganze Städte wurden nahezu ausgelöscht.
    Und selbst in der christlichen Zeit, in der ich lebte, wurden Tausende wegen des unausgesprochenen Blutpaktes geopfert, den die Inquisition mit Gott abgeschlossen hatte. War es denn weniger barbarisch, einen Menschen bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, als ihm mit einem Messer das Herz aus dem Leibe zu schneiden?
    Was meine Vorfahren, die Azteken, angeht, möchte ich nicht den ersten Stein werfen.
    Der Zauberer brachte mir viel über die Lebensweise der Indios bei und erzählte mir von ihren Legenden. Er erklärte mir alles über die Pflanzen und Tiere von Neuspanien, ein Wissen, das mir sehr nützlich sein würde, falls ich mich einmal in der Wildnis würde ernähren müssen. Aus seinem klugen und freundlichen Verhalten lernte ich viel über den Umgang mit meinen Mitmenschen. Bruder Antonio hatte eine eher raue Art gehabt, wenig Feingefühl besessen und sich von seinen Leidenschaften mitreißen lassen, sodass er häufig mit anderen in Streit geraten war. Der Zauberer hingegen war ein Meister der Diplomatie. In einem Dorf, in dem wir Halt gemacht hatten, um die Menschen von ihren Leiden zu kurieren, kam die Lieblingspfeife des Zauberers abhanden. Der Dieb musste ein Narr gewesen sein, denn nur ein solcher hätte einen Hexenmeister bestohlen. Der Zauberer hatte diese Pfeife bereits lange vor meiner Geburt besessen, und ich erkannte an seinem finsteren Blick, dass ihn der Verlust mehr bedrückte, als er sich anmerken ließ.
    Er verkündete, er werde dem Dieb eine Schlangenfalle stellen.
    »Was ist eine Schlangenfalle?«, fragte ich.
    »Eine Schlangefalle besteht aus zwei Eiern und einem Ring. Der Ring ist aufrecht an einem Stück Holz befestigt. Die Eier platziert man in der Nähe eines Schlangenbaus zu beiden Seiten des Rings. Wenn die Schlange die Eier sieht, verschluckt sie das erste. Schlangen sind genauso gierig wie Menschen, und sobald das Ei ein Stück weit ihren Körper hinuntergewandert ist, schlüpft sie durch den Ring und schluckt auch das zweite. Und dann sitzt sie fest, weil sie nicht mehr durch den Ring passt und weder vorwärts noch rückwärts kann, bis die Eier verdaut sind.«
    »Man kann einen Menschen nicht dazu bringen, wegen eines Eis durch einen Ring zu kriechen.«
    Der Zauberer kicherte. »Wegen eines Eis nicht, aber vielleicht braucht er ja Tabak, um die gestohlene Pfeife zu rauchen.«
    Also legte der Zauberer einen Beutel Tabak an die Stelle, wo die Pfeife gestohlen worden war. Die Unterseite einiger Tabakblätter bestrich er mit rotem Chilipulver.
    »Als der Dieb sich in unser Lager schlich, um mir die Pfeife wegzunehmen, hat er den Kopf schon durch den Ring gesteckt.

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