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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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tat mein Bestes,
mich vor den Kindern fröhlich und sorglos zu geben – und wartete jeden Moment
darauf, dass der Mob die Tür einbrechen und uns alle ermorden würde.
    Im Juli drohte der Herzog von Braunschweig, der
Befehlshaber der Preußen, im Fall eines weiteren Angriffs auf den König würde
ganz Paris dafür bezahlen, und zwar teuer. Seine Worte standen in allen
Zeitungen zu lesen und wurden an jeder Straßenecke diskutiert. Wir wussten,
dass es keine leere Drohung war, denn seine Truppen rückten täglich weiter vor.
Trotzdem ließ sich Paris nicht einschüchtern. Am 10.
August griffen die Einwohner, aufgehetzt von Dantons feurigen Reden und dem
Gezeter der Gossenpresse, die Tuilerien erneut an.
    Ich hatte in der Nacht des 9. Juli den Palast nicht verlassen, aus Angst um
Louis Charles, und um die Erlaubnis gebeten, bei ihm bleiben zu dürfen.
Alarmglocken läuteten die ganze Nacht hindurch, um die Bürger von Paris
zusammenzurufen. Ich hörte sie, und wieder fiel mir Versailles ein, wo die
Fischweiber geifernd vor Mordlust in den Palast gestürmt waren.
    Der König hörte sie auch. Seine Garde wurde mobilisiert
und der Palast verbarrikadiert, aber am Morgen musste er einsehen, dass die
Lage hoffnungslos war. Ganz Paris war auf den Beinen, um gegen ihn
aufzumarschieren. Ich kleidete Louis Charles schnell an, servierte ihm
Frühstück, und dann wurden wir aus seinen Gemächern getrieben, aus dem Palast
hinaus, zur Nationalversammlung.
    Der König hatte entschieden, für sich und seine Familie
bei der Versammlung Schutz zu suchen, und nach einigen Diskussionen wurde ihm
dies von den Abgeordneten gewährt – woraufhin man die königliche Familie im
Temple, einer alten und hässlichen Festung einschloss.
    Mir wurde befohlen, sie zu begleiten, als Diener für
den König und Louis Charles. Ich half ihnen in dieser Nacht, ihre Gemächer
notdürftig herzurichten. Ich legte Laken auf die Betten, improvisierte ein
Abendessen und weigerte mich dann erneut, sie zu verlassen, denn ich hatte
Schüsse aus Richtung der Tuilerien gehört und wusste, dass es von dort bis zum
Temple nicht weit war. Ich schlief auf dem Boden vor Louis Charles’ Bett.
Jemand bot mir ein Nachtgewand an, was ich jedoch ablehnte. Ich sagte, ich
wolle angekleidet und auf alles vorbereitet sein, doch in Wahrheit konnte ich
mich an diesem Ort nicht auskleiden. Die anderen Diener oder eine Wache hätten
womöglich bemerkt, dass ich kein Junge war, und mich vor den Gefängnisdirektor
gezerrt. Dieser hätte geahnt, dass ich eine Spionin war, und mich ebenfalls
eingekerkert.
    Als ich spät in der folgenden Nacht zum Palais
zurückging, war ich sicher, die Gewalttätigkeiten wären vorbei. Die Tuilerien
waren eingenommen, die königliche Garde niedergemetzelt. Jetzt war der König
machtlos. Was konnten sie ihm noch antun? Ich hoffte, sie würden ihn aufs Land
schicken, in sein Haus in Saint-Cloud. Dort würde er jagen und an Schlössern
herumbasteln können – die beiden Tätigkeiten, die ihm am meisten Vergnügen
bereiteten. Die Königin und Marie-Thérèse würden durch den Garten spazieren
können. Und Louis Charles ungehindert herumtollen.
    Der Herzog von Orléans wartete im Palais auf mich.
Sobald ich seine Gemächer betrat, packte er mich und schleifte mich in sein
Arbeitszimmer.
    Wo zum Teufel bist du gewesen?, schrie er.
    Ich erzählte ihm, was geschehen war. Er saß nicht
still, während ich redete, sondern ging unruhig im Zimmer auf und ab.
    Ihre Prüfung ist jetzt doch beendet. So ist es doch?,
fragte ich, als ich mit meinem Bericht fertig war. Die Kämpfe sind jetzt doch
sicher vorbei?
    Der Herzog ließ sich zu keiner Antwort herab.
Stattdessen sagte er: Es freut mich, dass du in den Temple befohlen wurdest.
Mach deine Arbeit dort so gut, wie du sie in den Tuilerien gemacht hast. Gib
dem Aufseher keinen Grund, dich zu entlassen. Gib mir keinen Grund, an dir zu
zweifeln. Komm jede Nacht danach hierher, egal wie spät, und berichte mir. Wen
der König trifft. An wen er schreibt. Wann er schläft, isst und seine Notdurft
verrichtet.
    Aber warum?, fragte ich. Ich dachte, es wäre jetzt
vorbei. Ich dachte, dass …
    Er fuhr herum. Du hast dich getäuscht!, donnerte er
los. Der König ist gestürzt, ja, aber wer wird seinen Platz einnehmen? Wer wird
regieren? Der Heißsporn Danton? Die

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