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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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die Crew hungrig wird, und die wütenden
Sicherheitsleute, die die Massen von Rob Pattinson fernhalten. Aber ich sehe
sie nicht. Ich sehe nur überall magere, schmutzige Kinder herumschwärmen.
    Â»Ist es nicht ein bisschen zu spät für die Kinderdarsteller,
um jetzt noch rumzurennen?«, frage ich Amadé.
    Aber er hört mich nicht. Er hat schon halb die Straße
überquert. Ich hole ihn ein. Und dann stehen wir vor dem Eingang des Palais
Royal.
    Â»Hey, das war total echt«, sage ich zu ihm.
    Â»Essen Sie etwas, bevor Sie gehen«, bittet er mich.
    Â»Ich muss mich jetzt auf die Socken machen«, antworte ich.
    Â»Ich habe Angst um Sie. Wenn die Wachen das Blut auf Ihrem
Gesicht sehen, wollen sie wissen, was geschehen ist. Sie nehmen Sie fest.
Kommen Sie wenigstens mit hinein, um das Blut abzuwischen.«
    Vielleicht hat er recht. Ich möchte wirklich nicht von der
Polizei angehalten werden. »Okay«, sage ich und folge ihm.
    Im Hof des Palais Royal herrscht wildes Treiben, es ist laut
und voller Statisten in Filmkostümen. Es gibt Betrunkene, Dandys und Spieler.
Wir gehen ins Café Chartes, wo ebenfalls schwer was los ist. Das Filmstudio
muss es als Kantine gemietet haben. Während wir uns an einen Tisch setzen, sehe
ich mich unter den Schauspielern um. Sie haben schlechte Zähne. Narben. Pickel.
Fettiges Haar. Schmutzige Nägel. Alles sieht total echt aus. Die Maske kriegt
todsicher einen Oscar. Ich sehe mich nach irgendwelche Zeichen der Moderne um –
Handys, Gitanes, Armbanduhren, Kugelschreiber. Nicht mal eine Espressomaschine
kann ich entdecken. Es ist bemerkenswert. Jegliche Spur des einundzwanzigsten
Jahrhunderts ist getilgt.
    Amadé bestellt Essen. Ich sage ihm, dass ich keinen Hunger
habe, aber er lässt sich nicht abhalten. Der Kellner bringt Wein. Ich will
keinen. Mein Kopf ist immer noch benebelt von dem Wein, den ich am Strand
getrunken habe. Ich schiebe ihm das Glas zu, aber er trinkt nicht. Stattdessen
zieht er ein Taschentuch heraus, tunkt es in mein Glas und reibt mir damit über
die Stirn.
    Â»Hey, schon mal was von Wasser gehört?«, frage ich und zucke
zurück.
    Er schnaubt. »Sie wissen genauso gut wie ich, dass Sie weder
Ihren Kopf noch sonst ein Glied ihre Leibs mit Pariser Wasser abreiben sollen.
Die Wunde würde innerhalb eines Tages faulig werden.«
    Ein Mann kommt an unseren Tisch. Seine Kleider sind mit
Essensflecken übersät. Amadé begrüßt ihn warmherzig und nennt ihn Gilles.
    Â»Was ist mit Ihnen passiert?«, fragt er mich.
    Â»Ein Sturz«, antwortet Amadé schnell.
    Ich begrüße Gilles, der auch völlig in seiner Rolle
aufzugehen scheint, und übernehme das Reinigen meiner Wunde selbst. Es ist eine
Menge Blut auf dem Tuch. Ich muss mir den Kopf ziemlich hart angeschlagen
haben.
    Gilles wirft Amadé einen Blick zu. Amadé zuckte die Achseln.
»Zu viel getrunken«, sagt er tonlos. Sie denken, ich hätte es nicht bemerkt.
    Die beiden Männer unterhalten sich. Ich kriege nicht alles
mit, höre aber das Wort »Prozess« und den Namen Fouquier-Tinville. Ich kenne
den Namen. Er war der öffentliche Ankläger im Revolutionstribunal. Der Film
muss über die Französische Revolution sein.
    Die beiden unterhalten sich weiter, aber ich passe nicht
wirklich auf.
    Gilles sagt: »Das Kopfgeld ist wieder erhöht worden.«
    Â»Tatsächlich?«, fragt Amadé. »Wann ist das geschehen?«
    Â»Heute Nachmittag. Alle Männer, Frauen und Kinder in Paris
versuchen jetzt, den Grünen Mann zu fangen. Nach dem riesigen Feuerwerk letzte
Nacht. Jeder träumt davon, was er sich mit dem Geld alles kaufen könnte. Die
Wachen sind sehr aufmerksam heute Nacht. Sie befragen jeden, der vorbeigeht.«
    Ich höre auf, mir die Stirn abzutupfen. Jetzt lausche ich den
beiden.
    Â»Sie haben ihn verwundet, nicht?«, sagt Amadé. »Ihn
angeschossen. Das stand jedenfalls in der Zeitung heute Morgen.«
    Gilles nickt. »Ich wette, er hat sich irgendwo verkrochen, um
sich zu verstecken, und ist dort gestorben. Die Wachen werden ihn bald finden.
Dank seines Gestanks.«
    Der Grüne Mann. So wurde Alex genannt, aber Alex lebte vor
zweihundert Jahren. Es war auch eine Belohnung auf sie ausgesetzt. Es beginnt
mich zu frösteln. Erneut packt mich Schwindel. Und Angst. Es ist zu perfekt,
dieses Filmset. Diese getürkte Welt. Irgendwas stimmt hier nicht.
    Amadé

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