Das Blut der Unschuldigen: Thriller
wegen seines Kampfes gegen die im 4. Jahrhundert entstandene und der Ketzerei bezichtigte Sekte der Priscillianer berühmt wurde. Er hat für das Kloster von einer Pilgerreise ins Heilige Land zahlreiche Reliquien mitgebracht. Es ist ohne weiteres möglich, dass sich darunter das größte erhaltene Stück des heiligen Kreuzes befand, das jetzt im Kloster aufbewahrt wird. Im 11. Jahrhundert haben sich die Mönche der Abtei der Regel des heiligen Benedikt angeschlossen. Zu den Schätzen des Klosters gehört außer der Kreuzesreliquie der Leichnam des heiligen Toribius und …«
»Kann man sich das Stück vom Kreuz auch ansehen?«, fiel die Frau der Reiseleiterin erneut ins Wort.
»Selbstverständlich. Sie bekommen den Jubiläumsablass ja gerade deshalb, weil sich diese Reliquie hier befindet. Es gibt Hinweise darauf, dass die Menschen schon in frühen Zeiten hergekommen sind, um das Kreuz zu verehren und zum heiligen Toribius zu beten, von dem viele Wunder berichtet werden. Wenn wir in das Kloster eintreten, können Sie sein Grab unter einem polychromen Bild in der Kirche sehen. Papst Julius II. hat im Jahr 1512 mit einer Bulle angeordnet, dass jedem Sündenablass gewährt wird, der in einem Jahr, in dem das Fest des heiligen Toribius auf einen Sonntag fällt, in der entsprechenden Woche hierherpilgert und bestimmte Bedingungen erfüllt. Nebenbei bemerkt liegt das Kloster am sogenannten ›französischen Jakobsweg‹, auf dem die Pilger nach
Santiago de Compostela gelangen. Ach ja, und noch etwas. Wir wissen, dass spätestens seit dem 16. Jahrhundert viele Menschen das Kloster aufgesucht haben, in deren Familie es einen Geisteskranken gab, denn der Überlieferung nach vermag das lignum crucis Besessene zu heilen und …«
»Heißt das, man bekommt den Ablass nur in dieser einen Woche?«, erkundigte sich ein anderer Besucher.
»Nein, nein. Das hätte ich auch noch gesagt. Papst Paul VI. hat verfügt, dass der Ablass in Jahren, in denen das Fest des heiligen Toribius auf einen Sonntag fällt, das ganze Jahr hindurch gewährt wird. Sobald also die normalerweise zugemauerte Heilige Pforte geöffnet ist, die man auch ›Jubelpforte‹ oder ›Puerta del Perdón‹, also ›Pforte der Vergebung‹ nennt, kann jeder, der im Verlauf des Heiligen Jahres kommt, den vollständigen Sündenablass erlangen. Das gilt für Sie alle, sobald Sie dort eingetreten sind, gebeichtet, der Messe beigewohnt und die Kommunion genommen haben. Wie Sie sicherlich wissen, gibt es Vergleichbares nur noch in Jerusalem, Rom, Santiago de Compostela sowie in Caravaca in der Provinz Murcia.«
»Aus welchem Jahrhundert stammt das Kloster eigentlich?«, wollte ein anderer Besucher wissen.
»Der Bau der gegenwärtigen Kirche wurde um die Mitte des 13. Jahrhunderts in Angriff genommen, sie ist also im gotischen Stil erbaut. Es existieren aber auch noch Überreste des romanischen Baus. Im 17. Jahrhundert hat man die Anlage erweitert, und aus jener Zeit stammt auch der herrliche Kreuzgang. Die Seitenkapelle mit dem lignum crucis , also der Reliquie des Kreuzes, stammt hingegen aus dem Barock. Die Mittel für ihren Bau kamen aus den Spenden der ›Indianer‹ – so nannte man Auswanderer aus der Provinz Santander, die in Amerika zu Wohlstand gekommen waren. Ein im Jahr 1778 angefertigter
vergoldeter Schrein aus massivem Silber enthält die Reliquie des Kreuzes.«
Mit gespannter Aufmerksamkeit hörten Mohammed und Ali den Ausführungen zu. Der Autobus, der sie an ihr Ziel bringen sollte, hatte gerade das Dorf Potes hinter sich gelassen und fuhr jetzt die Steigung zum Kloster empor. Unbestreitbar war dessen Umgebung eindrucksvoll.
»Gleich werden Sie den Berg Viorna sehen, an dessen Flanke Santo Toribio liegt. Übrigens habe ich vergessen, Ihnen zu sagen, dass die umliegenden Täler den Christen zur Zeit der Besetzung Spaniens durch die Mauren als sichere Zuflucht gedient haben.«
Die beiden Männer waren mit dem Zug von Granada über Madrid nach Santander gefahren und hatten sich dort gleich anderen Touristen einem Tagesausflug nach Santo Toribio angeschlossen, den ein örtliches Reisebüro veranstaltete. Sie gaben sich unauffällig, trugen Bluejeans, ordentlich gebügelte Hemden und Turnschuhe. Verständlicherweise wurden sie von vielen im Bus voll Neugier und Argwohn beäugt. »Das sind Muselmänner«, hatten sie hinter ihrem Rücken gehört. »Was kann denen Santo Toribio schon bedeuten?« Sie hatten sich bemüht, zu allen Mitreisenden freundlich
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