Das Blut von Magenza
Steinmetz wartete vor dem Gotteshaus auf ihn. „Du siehst viel besser aus als bei unserer letzten Begegnung!“, sagte er zur Begrüßung.
„Mir geht es auch wieder gut. Bis auf meinen Arm sind alle Verletzungen verheilt. Nur mein Kopf will noch nicht so wie ich will. Vielleicht kannst du mir helfen, die Lücken zu schließen.“
„Gern, sag mir, was ich tun soll“, ermunterte ihn Widukind.
„Erzähle mir noch einmal alles über den Überfall.“
„Wie du meinst“, seufzte er und berichtete ihm alles so detailliert wie möglich.
„Ist dir außer den dreien sonst jemand aufgefallen?“, fragte Hanno.
„Nein, wieso?“
Hanno erklärte ihm, was er im Beisein von Graf Bolko vom Wirt der Schenke in Battenheim erfahren hatte.
„Und nun glaubst du, dass der Fremde die drei anstiftete?“
„Das wäre doch möglich. Selbst dein Vater hält es nicht fürabwegig. Immerhin war ich mit einer Morduntersuchung betraut. Bestimmt habe ich etwas Wichtiges herausgefunden, das ich nun dummerweise vergessen habe.“
„Wenn deine Annahme stimmt, dann könnte der Fremde dir immer noch nach dem Leben trachten“, stellte Widukind fest.
Hanno erschrak, daran hatte er nicht gedacht. „Seit Tagen durchstreife ich allein die Stadt und habe keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich in Gefahr sein könnte.“
„Dieser Mann muss ja nicht in Mainz sein.“
„In eurem Dorf ist er jedenfalls nicht mehr. Niemand hat ihn seither mehr gesehen. Das haben die Erkundigungen deines Vaters ergeben.“
„Konnte der Wirt eine Beschreibung liefern, damit du den Mann notfalls wiedererkennst?“
„Keine, mit der etwas anzufangen wäre“, bedauerte Hanno.
„Dann wirst du eben auf der Hut sein müssen.“
„Mehr noch! Wenn nötig stelle ich selbst wieder Nachforschungen an. In Worms nahm alles seinen Anfang. Falls nicht bald eine Besserung eintritt, bitte ich den Kämmerer, mich nochmals dorthin gehen zu lassen, damit ich von vorn beginnen kann.“
„Dann solltest du aber dieses Mal einen Begleiter mitnehmen“, riet ihm der Steinmetz.
Unter den Juden
Heute stand die Entscheidung des Gemeinderates an. Auch wenn Jonah kein Stimmrecht hatte, so durfte er doch anwesend sein. Die Versammlung tagte bereits, als er in der Synagoge eintraf. David bar Natanael sprach gerade. Er hatte sich zum Wortführer der Fraktion gemacht, die fürsAbwarten plädierte. Als er seinen französischen Mitbruder sah, flocht er ihn in seine Rede mit ein.
„Jonah, wir fühlen mit dir und deinen Brüdern. Möge Adonai uns und euch aus jeder Not und Bedrängnis befreien, denn du musst wissen, dass wir euretwegen besorgt sind. Was aber uns selbst betrifft, so brauchen wir uns nicht zu ängstigen; wir haben noch nicht einmal gerüchteweise vernommen, dass unser Leben bedroht wäre. Hier im Rheinland gibt es keinerlei Anzeichen einer solchen Gefahr. Falls die Pilger jemals hierher gelangen, werden sie entweder zur Vernunft gekommen oder so geschwächt sein, dass sie uns nichts mehr anhaben können.“
Niemand unternahm den Versuch, diesen Einwand zu entkräften. Schließlich befahl der Älteste die Abstimmung. Das Ergebnis enttäuschte und entsetzte Jonah gleichermaßen. Die Mehrheit schloss sich Davids Meinung an. In diesem Moment hätte Jonah vor Niedergeschlagenheit laut aufschreien können. Die strapaziöse Reise, seine flammende Rede vor zwei Tagen, das Mahnschreiben der Gemeindeältesten von Rouen, alles vergebens. Ihm gelang es schließlich, seine Enttäuschung hinunterzuschlucken. Widerstand und Streitlust begannen sich in ihm zu regen. Er wollte noch nicht aufgeben. „Darf ich noch etwas sagen?“
Kalonymos erteilte ihm das Wort.
„David, du gehst davon aus, dass die Wallfahrer zur Vernunft kommen könnten. Was ist aber, wenn das genaue Gegenteil eintritt und mit jeder Meile ihr Hass wächst und sie erstarken. Ich bitte Euch eindringlich, überdenkt eure Entscheidung. Wenn ihr nicht handelt, droht euch schreckliches Unheil!“
„Jonah, du bist noch jung, es mangelt dir anLebenserfahrung“, belehrte ihn Daniel bar Judah. „Für uns bietet das Leben dagegen kaum noch Überraschungen. Wir haben alles eingehend geprüft und abgewogen und schauen deshalb mit Zuversicht und in vollem Vertrauen auf unseren Schöpfer in die Zukunft.“
„Ich zweifle nicht an dem Allmächtigen, wohl aber an euch! Wenn ihr denkt, dass ihr sicher seid, irrt ihr. In meinen Augen begeht ihr einen kapitalen Fehler, wenn ihr abwartet!“
Seine harschen Worte
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