Das Blut von Magenza
Griseldis musste ein für allemal verschwinden und dafür war heute der geeignete Tag. Nachher, wenn Gerhard die Messe besuchte, erschien ihr die Gelegenheit günstig. Noch vor dem Morgengrauen stand sie auf, kleidete sich hastig an und schlich sich in sein Zimmer. Dort schrieb sie ein paar Worte mit verstellter Handschrift und drückte sein Siegel auf die Nachricht. Hoffentlich glaubte Griseldis diesen Schwindel und zweifelte nicht daran, dass Gerhard sie einbestellte. Dann schickte sie einen Diener damit zu ihrer Kontrahentin. Wenig später war er mit der erhofften Antwort zurück, bemerkte aber auch, dass Griseldis mehr als überrascht gewesen war.
Nun musste sie nur noch Gerhard klarmachen, dass sie nicht mit zur Messe gehen würde. Nach gestern Abend nahm er ihr bestimmt ab, dass sie sich schlecht fühlte und deshalb zu Hause bleiben wollte. Er riet ihr sogar, wieder zu Bett zu gehen, was sie ihm zwar versprach, aber nicht tat.
Kaum hatte er mit dem Gesinde das Haus verlassen, bereitete sie alles vor. Sie zog ihr dunkelstes Gewand und einen Überwurf an, nahm das Schüreisen aus der Küche und eilte in den Geheimgang. Dort entfachte sie die Fackeln, um Griseldis im Glauben zu lassen, Gerhard erwarte sie tatsächlich. Nur eine bestimmte Stelle hinter einer Biegung ließ sie im Dunkeln. Dort wollte sie Griseldis abpassen. Erwartungsvoll und etwas aufgeregt drückte sich Reinhedis gegen die Mauer. Sie lauschte auf jedes Geräusch, denn lange konnte es nicht mehr dauern, bis ihre Widersacherin eintraf.
Der Schürhaken war nicht gerade die ideale Waffe, aber da Reinhedis den direkten Kontakt mit Blut scheute, schieden Messer oder Dolch von vornherein aus. Eine Lanze wäreeigentlich ideal gewesen, aber sie konnte sie nicht gut handhaben und hätte zudem in die Waffenkammer eindringen müssen, was nicht unbemerkt geblieben wäre. Deshalb musste das Schüreisen als Kompromiss herhalten. Es lag ihr erstaunlich gut in der Hand und garantierte zudem den gewünschten Abstand. Und wenn sie es später zurück in die Küche trug und das Feuer damit schürte, würden auch die Blutspuren verschwinden.
Da sie diesen Mord etwas überstürzt geplant hatte, wusste sie noch nicht so recht, wie sie die Leiche fortschaffen sollte. Aber auch dafür würde sich früher oder später eine Lösung finden. Der Gedanke, dieses verhasste Weib bald los zu sein, beflügelte sie geradezu. Ihr Herz schlug aufgeregt, all ihre Sinne waren geschärft und sie selbst aufs Äußerste angespannt. Sie hörte Wassertropfen von der Decke mit einem leisen „Plopp“ zu Boden fallen, das heimliche Getrippel von Nagerfüßen, das sie ausnahmsweise nicht störte, sowie das hohe Pfeifen des Windes, der durch den Gang wehte. In diesen Minuten war sie bereit, jede Unannehmlichkeit auf sich zu nehmen, solange ihr Lohn der Tod von Griseldis war.
Die Zeit zog sich dahin und sie wusste nicht, wie lange sie schon wartete. Das machte sie unruhig. Die Kälte begann ihr in die Glieder zu kriechen. Ihre Finger, die das Eisen fest umklammert hielten, wurden steif und sie wechselte in regelmäßigen Abständen die Hand. Sie begann auf den Füßen zu wippen, um sich warm zu machen, aber es half nur wenig. Sie beschloss, bis hundert zu zählen, – wenn Griseldis bis dahin nicht gekommen war, würde sie ihr Vorhaben abbrechen. Bei 65 schwappte ein Schwall frischer Luft von draußen herein, der die Fackeln aufflackern ließ. Reinhedis hielt den Atem an, Griseldis war im Anmarsch.
Sie presste sich noch enger an die Wand, den Haken fest umklammert, während sich leichtfüßige Schritte näherten. Ihre Augen waren inzwischen bestens an die Lichtverhältnisse gewöhnt. Lautlos hob sie ihre Waffe über den Kopf, wobei sie darauf achtete, nicht irgendwo anzuecken. Plötzlich stockten die Schritte. Die Stille, die sich ausbreitete, verhieß nichts Gutes. Reinhedis kam es vor, als sei es heller geworden. Griseldis hatte allem Anschein nach eine Laterne dabei. Damit hatte sie nicht gerechnet. Draußen war helllichter Tag und hier drinnen brannten Fackeln, wofür brauchte sie da noch eine verdammte Laterne? Die Gefahr, trotz der dunklen Kleidung entdeckt zu werden, hatte sich erhöht. Aber so kurz vor dem Ziel wollte sie nicht aufgeben.
Der Brief Gerhards hatte Griseldis misstrauisch gemacht und sie war dementsprechend wachsam. Seine Schrift sah anders aus als sonst und er hatte auch keinen Grund genannt, warum er sie sehen wollte. Vor allem die ungewöhnliche Stunde, zu der der
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