Das Blut von Magenza
schließlich, tranken etwas Wein und redeten erst über Widukinds Wanderschaft, dann über die Schlägerei in Mathes‘ Gasthaus.
„Ich hörte, du warst neulich als Zeuge vor Gericht“, bemerkte Conrad.
„Ja, morgen entscheidet sich, wie es mit Jobst, Sixt und Endris weitergeht.“
„Die drei sind wirklich dumme Hitzköpfe. Wut und Raserei waren noch nie gute Ratgeber. Hoffen wir nur, dass Gernot weise richtet.“
„Wenigstens hat Mathes alles gut überstanden.“
„Du hast auch Blessuren davongetragen, wie ich sehe“, sagte Conrad und zeigte auf Widukinds verbundenen Unterarm.
„Das ist nur ein unbedeutender Schnitt“, versuchte er abzuwiegeln.
Doch Conrad ließ sich nicht so leicht beirren. „Deine Hände sind dein Werkzeug, nimm die Verletzung nicht auf die leichte Schulter.“
„Du redest schon wie der Arzt!“, entfuhr es ihm. „Ich schone mich ja und mache nur leichte Arbeit. Aber du weißt auch, dass Geduld nicht gerade eine meiner Tugenden ist. Außerdem drängt es mich, die Madonna zu vollenden.“
„Das kann ich verstehen, aber sei vernünftig. Was sind schon ein paar Tage Pause im Vergleich mit einem Werk für die Ewigkeit“, gab Conrad zu bedenken.
Unter den Juden
Im Haus herrschte Ruhe, Rachel schlief und Isaac las im Talmud. Sara, die während der Abwesenheit von Vater und Ehemann die Geschäfte weiterführte, nutzte die freie Zeit, um die Bilanzen der zurückliegenden Wochen zu prüfen. Momentan stand alles zum Besten. Die Schuldner akzeptierten sie als Stellvertreterin und kamen ihren Forderungen fristgerecht nach. Nach Weihnachten erfolgten die nächsten Rückzahlungen und Sara prüfte gerade die Liste derer, die ihren Verpflichtungen noch nachkommen mussten. Meist gab es keine Probleme, denn Händler und Kaufleute machten vor den Feiertagen gute Geschäfte und waren dann liquide.
Sollte doch einmal einer säumig sein, forderte Christian die Summe für sie ein. Er war einer ihrer christlichenBediensteten, dem ihre Familie bedingungslos vertraute. Seine Aufgaben gingen aber über das bloße Schuldeneintreiben hinaus, denn er stellte vor allem die geschäftliche Verbindung zu den Christen dar und war für den Einkauf des Weins zuständig. Aufgrund der jüdischen Reinheitsgebote durfte Sara den Wein nämlich nicht verkosten, der von christlichen Winzern hergestellt wurde, weil er treife war. Das tat Christian für sie. Stimmte die Qualität, ließ Sara sich auf das Geschäft ein, wenn nicht, lehnte sie ab. Der Handel mit nicht koscherem Wein war ihnen vom jüdischen Gesetz her eigentlich untersagt. Da sie ihn aber zur Tilgung der Kredite annehmen und auch weiterverkaufen durften, nutzten sie gewinnbringend eine Gesetzeslücke.
Sara hatte die Liste zu Ende geprüft und wollte gerade zu Bett gehen, als sie ein zaghaftes Klopfen hörte. Nach kurzem Zögern öffnete sie und stand einer ausgemergelten Frau gegenüber, die sie vom Sehen her kannte.
„Verzeih, dass ich um diese Zeit störe, aber ich weiß mir keinen Rat mehr“, meinte sie und kämpfte mit den Tränen.
„Wer bist du?“, fragte Sara sie.
„Ich heiße Cathrein, mein Mann ist Lorentz, der Winzer. Wir bewirtschaften Weinberge außerhalb der Stadt“, antwortete sie ihr.
Jetzt wusste Sara, mit wem sie es zu tun hatte. Lorentz hatte sich bei ihrem Vater vor Jahren Geld geliehen und alles pünktlich zurückgezahlt.
„Ich weiß, wer dein Mann ist. Komm herein.“ Sie führte die Frau in die Küche.
Ungefragt zapfte sie einen Krug mit koscherem Wein und stellte ihr etwas zu essen hin. „Du siehst hungrig aus. Greif zu!“
Cathrein schluckte schwer. „Ist es so offensichtlich?“
Sara nickte stumm.
„Uns ging es immer gut. Doch nun werden wir das Unglück nicht mehr los.“
„Erzähl mir, was dich herführt.“
Cathrein aß etwas von dem Brot und dem getrockneten Fisch und spülte mit einem Schluck Wein nach. „Das schmeckt köstlich. Danke!“
Nachdem ihr gröbster Hunger gestillt war, schüttete sie Sara ihr Herz aus. „Mein Mann hat sich verletzt und muss das Bett hüten. Ich schaffe die Arbeit im Keller nicht alleine, obwohl unser halbwüchsiger Sohn und unsere Tochter mir zur Hand gehen. Der Wein müsste abgestochen werden. Dafür bräuchte ich jemanden mit Sachverstand, aber dazu fehlt das Geld. Bei allen Geldgebern der Stadt bat ich um einen Kredit, aber keiner will einer Frau, deren Mann geschäftsuntüchtig ist, Kapital leihen. Und Lorentz ist augenblicklich nicht in der Lage zu verhandeln.
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