Das Blut von Magenza
mein Junge. Wenn du das richtige Alter hast, kannst du als Lehrling bei mir anfangen. Wie alt bist du jetzt?“
„Zwölf!“
Conrad mischte sich ein. „Daraus wird wohl nichts, sein Vater hat anderes mit ihm vor.“
„Aber ich nicht! Ich werde Steinmetz“, ereiferte sich Widukind.
„Du kannst nicht gegen deinen Vater aufbegehren“, maßregelte ihn Conrad.
„Und wenn du ihn überredest?“, bettelte Widukind und griff nach Conrads Hand.
„Das ist nicht meine Aufgabe und er würde auch nicht auf mich hören.“
„Schade“, meinte Archibald. „Der Junge ist begabt. Wie heißt du?“
„Widukind von Battenheim, der Sohn des Bolko von Cankor. Merk dir den Namen. Du wirst sehen, ich werde Steinmetz!“, behauptete er selbstsicher. „Ich glaube, Gott will es so. Warum sonst hätte er mir dieses Talent gegeben?“, stellte er ernst fest.
Nun musste der Benediktinermönch ein Schmunzeln unterdrücken. „Woher nimmst du diese Gewissheit?“
„Es steht doch in der Bibel, dass man sein Talent nicht unter einen Scheffel stellen soll, oder? Und das würde ich tun, wenn ich nur Lesen, Schreiben, Rechnen und Latein lerne.“
„So ähnlich heißt es. Aber darüber disputieren wir ein anderes Mal. Sieh zu, dass du in die Schule kommst und bring dich in Ordnung. Du bist von oben bis unten mit Staub bedeckt“, verlangte Conrad von ihm.
Archibald hielt den Mönch zurück. „Mir ist selten ein Knabe mit einer solchen Gabe untergekommen. Ziemlich geschickt für sein Alter und erstaunlich schlagfertig dazu – in beiderlei Hinsicht. Aus dem könnte wirklich ein Meister werden.“
„Sein Vater lässt sich gewiss nicht umstimmen. Er beharrt auf seinen Entscheidungen“, äußerte Conrad.
„Vielleicht könnten wir einen Kompromiss finden, von dem er zunächst nichts erfahren muss“, schlug Archibald vor und grinste verschmitzt.
„Was meinst du damit?“
„Wie wäre es, wenn der Junge stundenweise hierherkäme und ich ihm etwas beibrächte. Stellt sich heraus, dass er doch nicht so talentiert ist wie es scheint, geben wir die Sache bald auf.“
„Wenn aber doch?“
Archibald zögerte. „Dann ginge der Welt und vor allem der Kirche ein Künstler verloren. Vielleicht ist er ja tatsächlich dafür ausersehen.“
„Und wer bringt es dann seinem Vater bei?“
Archibald zuckte mit den Schultern. „Er selbst. Du siehst ja, wie durchsetzungsfähig er ist.“
Und genauso war es gekommen. Widukind begann mit sechzehn seine Lehre bei Meister Archibald, musste dafür aber einen hohen Preis zahlen. Sein Vater missbilligte seine Entscheidung und redete über Jahre kein Wort mit ihm. Über lange Zeit durfte er auch sein Elternhaus nicht betreten, bis es seiner Mutter gelang, den Vater umzustimmen. Aber auch dann mied ihn Bolko, sodass Widukind ihn seit acht Jahren kaum gesehen, geschweige denn gesprochen hatte. So wurden Conrad und Meister Archibald zu einer Art Ersatzväter für ihn. Besonders mit dem Mönch verband Widukind eine spirituelle Freundschaft, die von regem Gedankenaustausch geprägt war, während er Archibald eher als berufliches Vorbild sah.
Seit Widukind von seiner Wanderschaft zurück war, hatte er Conrad nur einmal kurz besucht und er freute sich darauf, endlich ausgiebig mit ihm sprechen zu können. Es war schon dunkel, als er an seine Tür klopfte. Der Geruchvon Stein hing noch in seinen Kleidern und Haaren und hatte sich in kleine Fältchen rund um die Augen gesetzt, die er vor seiner Wanderschaft noch nicht gehabt hatte. Sofort stellte sich die alte Vertrautheit zwischen den beiden Freunden wieder ein und sie fielen sich in die Arme. „Es ist schön, dich zu sehen. So lange haben wir nicht mehr richtig miteinander geredet. Ich habe das vermisst und bin auch ganz gespannt, was du zu meinen Entwürfen für die Madonna sagst“, meinte Widukind und hielt ihm die Skizzen unter die Nase.
„Oh, ungestüme Jugend“, lachte der Mönch. „Gehen wir hinüber zum Pult, dort haben wir besseres Licht.“
Widukind entrollte beinahe zärtlich seine Entwürfe, die die Madonna aus verschiedenen Perspektiven zeigten.
Conrad betrachtete sie lange. „Du bist ein Visionär, weißt du das? Wenn es dir gelingen sollte, sie so zu gestalten, dann erschaffst du etwas Wunderbares. Doch warum hat sie kein Gesicht?“, fragte er verwundert.
Widukind freute sich über Conrads Lob. „Das habe ich noch nicht im Kopf, aber sobald ich an der Figur arbeite, wird es sich schon fügen.“
Sie setzten sich
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