Das Blut von Magenza
als sie die Stiege hinuntergingen.
„Nein, ich kenne ihn nicht. Er ist nicht von hier“, behauptete sie bestimmt.
In der Küche setzte er sich an den Tisch und fühlte sich augenblicklich in seine Kindheit zurückversetzt. Auf der Feuerstelle brutzelten köstlich duftende Speisen, die ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Die Köchinhantierte mit den Töpfen und Pfannen und begrüßte ihn nicht minder herzlich als Agnes vorhin. Jetzt fehlte nur noch eine Schüssel mit Milchsuppe und seine Erinnerung wäre komplett. Doch statt Milchsuppe gab es einen Verbandswechsel und einen bitteren Tee. Als die Köchin sah, was Agnes vorhatte, schob sie die Töpfe beiseite und verließ unter dem Vorwand, Holz holen zu müssen, schnell den Raum. Agnes füllte frisches Wasser in eine Schüssel und besorgte neue Leinenbinden. Sie ergriff Widukinds Arm und begann den alten Verband zu lösen. Obwohl er längst erwachsen war und nicht mehr unter ihrer Obhut stand, umsorgte sie ihn wie eine Glucke ihr Küken, wenn er zu Besuch kam.
„Wie bist du dazu gekommen?“, wollte sie wissen und Widukind erzählte von dem Vorfall in der Schenke.
„Du scheinst Gewalt ja förmlich anzuziehen.“
„Ich suche sie nicht, aber sie findet mich“, verteidigte er sich. „Der Arzt sagte mir übrigens, dass ich die Hand schonen soll.“
„Was du vorhin natürlich nicht getan hast“, merkte sie ohne Vorwurf in der Stimme an. „Na, das ist ja eine schöne Bescherung. Sieht aber schlimmer aus als es ist. Nur das obere Stück der Naht ist aufgegangen.“
Widukind schaute hin, wandte den Blick aber rasch wieder ab. Ihm wurde schwummrig. Den Anblick des eigenen Blutes hatte er noch nie ertragen können.
„Bis auf die aufgeplatzte Stelle sieht alles sehr gut aus“, merkte sie an. „Das ist ordentlich gemacht worden.“
„Das war der jüdische Arzt, der in meinem Viertel wohnt.“
„Wie es scheint, will die Blutung einfach nicht aufhören. Wenn ich dir jetzt einen Verband anlege, ist er gleich wieder durchnässt. Am einfachsten wäre es, wir würden kurzein glühendes Eisen draufhalten.“
Widukind zog reflexartig seinen Arm zurück. „Nein! Auf gar keinen Fall! Womöglich verliere ich dann die Beweglichkeit meiner Finger“, rief er erschrocken.
„Das braucht dich nicht zu sorgen. Darunter hast du genug Fleisch. Am Handgelenk würde ich es nicht wagen, aber weiter oben besteht kaum eine Gefahr.“
„Vermutest du das nur oder weißt du es?“, entgegnete Widukind skeptisch.
„Irgendetwas muss getan werden. Aber das ist deine Entscheidung.“
„Also gut“, fügte er sich schweren Herzens.
Agnes legte das Eisen, das zum Zurechtschieben der Holzscheite im Ofen verwendet wurde, in die Glut und verschwand. Als es heiß genug war, kam sie zurück. Inzwischen hatte auch der Knecht das Bündel des Fremden in die Küche gebracht.
„Du kannst gleich bleiben und mir helfen“, sagte sie zu ihm. „Halt Widukinds Arm fest, und zwar hier und hier“, zeigte sie ihm und der Knecht tat wie geheißen, auch wenn es ihm nicht ganz geheuer war.
„Achtung, gleich schmerzt es etwas“, warnte sie ihren Zögling und drückte das Eisen darauf. Sofort breitete sich der Geruch von verbranntem Fleisch in der Küche aus.
Widukind, der den Kopf weggedreht hatte, konnte nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken, denn der Schmerz fraß sich durch seine Haut und Muskeln, wanderte den Arm empor und explodierte in seinem Kopf. Das Ganze dauerte wirklich nur Sekundenbruchteile, aber ihm erschien es wie eine Ewigkeit. Agnes schickte den Knecht wieder weg, strich Ringelblumensalbe auf die Verbrennung und bedeckte sie mit einem kalten, nassen Tuch. Die Köchin kehrtezurück und widmete sich schweigend dem Essen. Das Holz hatte sie allem Anschein nach vergessen.
„Am besten, du kühlst das noch einige Zeit. Jetzt trink einen Schluck von diesem Sud, der lindert den Schmerz“, meinte sie und reichte ihm einen Becher, in den sie zusätzlich einige Tropfen einer braunen, zähklebrigen Flüssigkeit träufelte. „Bald ist alles abgeheilt. Du behältst an dieser Stelle zwar eine nicht so schöne Narbe zurück, aber das ist ja nicht deine erste“, spielte sie auf seine diversen Verletzungen an, die er sich während seines Heranwachsens zugezogen hatte. „Die Figur des Heiligen Georg, die du gemacht hast, ist übrigens wunderschön. Sogar dein Vater ließ beim Betrachten eine gewisse Gemütsregung erkennen. Das würde er dir gegenüber zwar niemals zugeben,
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