Das Blut von Magenza
Vielleicht hast du die Plattformen mit den Mühlen auf dem Rhein gesehen?“
Wolff nickte, auch wenn es nicht stimmte, aber er wollte seine Tischgenossen für sich einnehmen.
„Er arbeitet auf der ersten und ich auf der zweiten“, meinte der junge Kerl stolz.
Die Müllergesellen erzählten ihm alles, was wichtig warund was er für den Anfang wissen musste. Keiner der beiden erwähnte den Mord an Anselm, was Wolff zu der Vermutung verleitete, dass dieser nicht mehr Stadtgespräch war. Man hatte ihn und die Umstände seines Todes wohl längst vergessen. Als er sich verabschiedete und nach einer Messe erkundigte, die der Erzbischof las, verwiesen sie ihn an Sanne.
Sie gab ihm die gewünschte Auskunft. „Morgen im Anschluss an den Gottesdienst erteilt er den Stephanssegen im ‚Alden Dom‘. Bist du ein Fuhrmann, dass du ihn dir abholen willst?“, fragte Sanne forschend.
„Gut geraten“, log Wolff und ging.
Mittwoch, 26. Dezember 1095, 27. Tewet 4856
Mainz
Erzbischof Ruthard hatte den Kutschern, Fuhrleuten und Pferdeknechten den St. Stephanssegen gespendet. Die Männer verließen das Gotteshaus in Richtung der Schenken, wo sie dem Anlass entsprechend ihre Trinkfestigkeit unter Beweis stellten.
Ruthard war heute bei Embricho zum Festschmaus eingeladen und er wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte. Der Kämmerer war ein eloquenter Gastgeber, der seine Gäste bei Laune hielt. Aber oft arteten selbst gewöhnliche Mahlzeiten beinah in Gelage aus und Ruthard fürchtete, dass es am Feiertag noch übertriebener zuging als sonst. Mit einem Seufzer verließ er den „Alden Dom“ und machte sich auf den Weg. Er hatte beschlossen, zu Fuß zu gehen. Die lange Bettlägerigkeit hatte ihn träge gemacht und bis zum Haus des Kämmerers war es nicht weit. Burckhart, der Hauptmann seiner Wache, sah das allerdings nicht gern. Er fürchtete um die Sicherheit seines Dienstherrn, vor allem an einem Tag wie diesem, an dem nicht nur die Schenken, sondern auch ihre Besucher entsprechend voll waren. Doch Ruthard ließ sich nicht beirren und so blieb Burckhart nichts übrig, als ihn mit einem weiteren Soldaten zu eskortieren. Wer immer dem Erzbischof begegnete, grüßte ihn ehrfürchtig und er erwiderte den Gruß mit jovialem Kopfnicken. Sie waren noch nicht weit gelaufen, als sie an einer engen, gewundenen Gasse vorbeikamen, die der Erzbischof seines Wissens noch nie betreten hatte. Er wäre auch heute achtlos vorübergegangen, wären nicht genau in diesem Augenblick Schreie zu hören gewesen, die ihn zum Stehenbleiben veranlassten.
„Das war doch ein Hilferuf! Oder irre ich mich?“, fragte erseine Begleiter, die zustimmend nickten.
„Es hörte sich an wie ein Weib“, stellte Burckhart fest.
„Geht und schaut nach“, verlangte Ruthard von ihnen.
„Ich soll Euch allein lassen?“, sorgte sich der Hauptmann.
„Mir geschieht schon nichts. Dort benötigt jemand dringend Hilfe!“
Kaum waren die Soldaten hinter der Ecke verschwunden, ertönte erneut ein Schrei, dem lautes Rufen seiner Männer folgte. Das machte den Erzbischof neugierig und er ging seinen Soldaten nach. Die Gasse wirkte nicht sonderlich einladend und knickte nach wenigen Schritten ab. Die Häuser standen dicht gedrängt und hinderten das Licht, bis auf den Boden zu fallen, was auch angesichts des Unrats besser war. Nach der Biegung erweiterte sie sich zu seiner Überraschung zu einem kleinen Platz, der sauber war und von recht ansehnlichen Häusern umgeben war. Ruthard sah gerade noch, wie sein Hauptmann in einem Durchgang verschwand, und entdeckte eine junge Frau, die an einer Hauswand lehnte. Sie zitterte und hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen. Er eilte zu ihr und kam keinen Moment zu spät, denn sie sank mit einem Seufzer bewusstlos in seine Arme.
Ihre Ohnmacht dauerte nur kurz und sie schlug wenig später die Augen auf. Immer noch bebend, legte sie ihren Kopf an seine Brust und unternahm keinen Versuch, sich aus seinen Armen zu befreien. Ruthard entging nicht, dass sie zart nach Rosen und Lavendel duftete, und er inhalierte ihren Geruch mit tiefen Zügen. Als sie sich beruhigt hatte, öffnete sie ihre Augen, hob den Kopf und schaute ihren Retter an. Als sie erkannte, wer sie festhielt, löste sie sich erschrocken und senkte beschämt ihr Haupt. Auch Ruthard bemerkte jetzt erst, dass es Griseldis war, die ergehalten hatte.
„Verzeiht, dass ich mir eine solche Dreistigkeit erlaubte“, hauchte sie mit schwacher Stimme und ging vor ihm in
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