Das Blutschwert
auch ihr Blut getrunken?«, wollte Giles wissen.
Xander runzelte die Stirn. »Wofür halten Sie mich? Für einen Perverso? Nein, natürlich nicht.«
»Okay, offenbar ist mir etwas entgangen«, sagte Cordelia. »Willow war gestern tagsüber draußen, richtig? Das haben wir geklärt. Und was vermuten wir? Dass sie irgendwie von einem Vampir besessen ist? Ist so was denn überhaupt möglich?«
Giles zuckte mit den Schultern. »Offenbar«, erwiderte er.
»Eines steht jedenfalls fest«, fügte Xander hinzu. »Die Person, die mich gestern angegriffen hat - sie hatte vielleicht Willows Gesicht, aber sie war nicht Willow. Sie hatte nicht mal ihre Stimme. Und sie nannte sich auch anders. Es war irgendein komischer japanischer Name oder so.«
Giles sagte leise: »Vielleicht war es ein chinesischer Name?«
»Vielleicht«, meinte Xander. Er war plötzlich hellwach. »Ergibt das für Sie irgendeinen Sinn?«
Giles seufzte. »Allmählich ja.«
»Hören Sie, ich sehe mir sogar in den Sonntagscomics die letzten Bilder zuerst an, weil ich die Spannung nicht ertragen kann. Also spucken Sie’s schon aus«, sagte Cordelia und wedelte mit den Händen, wie sie es immer tat, wenn sie frustriert war.
Giles trat ans Fenster und blickte zum dunkler werdenden Himmel hinauf. »Ich vermute, der Name, den du gehört hast, war Chirayoju«, begann er. »Erinnert ihr euch an unseren Besuch im Museum? Willow hat sich dort ihren Finger an einem alten Schwert geschnitten, das einem japanischen Kriegergott namens Sanno, König des Berges, gehörte.« »Riiiichtiiig«, sagte Xander gedehnt.
»Und was genau hat dieser Typ mit Willows Veränderung zu tun?«, fragte Cordy.
Giles drehte sich zu ihnen um und sah so besorgt aus, wie Xander ihn selten zuvor gesehen hatte. Oder noch besorgter, sofern das überhaupt möglich war. Immerhin hatten sie bereits eine Menge Besorgnis erregender Dinge miteinander erlebt.
»Der Text zu diesem Schwert schilderte einen legendären Kampf zwischen Sanno und einem chinesischen Vampir namens Chirayoju, der mit dem Tod der beiden Kontrahenten endete. Ich habe vorhin mit einem emeritierten Wächter gesprochen, der mich darauf hingewiesen hat.« Er hielt die beiden dünnen Kladden hoch, mit denen er hereingekommen war. »Mit einem erimit.Wie hieß das?«, fragte Cordelia. »Emeritiert bedeutet außer Diensten, in Rente oder wie auch immer«, erklärte Xander.
»Sie haben also mit einem Rentner gesprochen«, sagte Cordelia und nickte verstehend.
Giles seufzte. Dann fuhr er fort: »Ich habe hier das Tagebuch der Claire Silver, Wächterin. In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war Miss Silver an der Katalogisierung aller WächterTagebücher aus allen Zeitaltern beteiligt. Sie war eine große Gelehrte.«
»Tja, super, wir können es später lesen«, sagte Xander. »Kommen Sie, wir müssen los.«
Giles hob eine Hand. »Wir müssen uns wappnen, Xander. Wir können nicht einfach hinaus in die Nacht laufen. So gerne wir es auch möchten«, fügte er gedämpft hinzu.
»Aber so haben wir es bisher immer gemacht, und es ist immer gut gegangen«, protestierte Xander.
Giles schlug das Buch auf. »Ich lese es euch vor.«
»Ja, schläfern Sie mich ruhig ein«, maulte Xander. Er spürte, wie ihm wieder schwindelig wurde, und sank zurück in das Kissen seines Krankenhausbettes.
»Wenn es mit >Es war einmal< anfängt, verzieh ich mich von hier«, knurrte er.
»Pst.« Cordelia setzte sich aufrecht hin und wartete gespannt. »Ich höre.«
»Sehr gut.« Giles öffnete eins der Bücher.
Tagebuch der Wächterin Claire Silver
6. Januar 1817
Der Arzt ist gerade gegangen und hat all meine Hoffnungen auf Justines Genesung mit sich genommen. Das arme Mädchen liegt besinnungslos auf ihrem Kissen. Ihre Wunden sind ein grauenvoller Anblick. Es scheint nichts zu geben, was ich für sie tun kann. Ich muss mich der Wahrheit stellen, aber ich kann es nicht: Sie stirbt.
Während ich jetzt von meiner Schreibfeder aufsehe und ihre bleiche Gestalt betrachte, weiß ich, dass irgendwo auf diesem riesigen Planeten bereits ein anderer Wächter alarmiert wurde und seine junge Dame auf ihr Debüt (ich bitte darum, mir diesen makaberen Ausdruck nachzusehen) in der grausigen Welt vorbereitet, die ihr geheimes Reich werden wird: die Welt der Vampir jägerin. Wenn meine junge Miss am Ende diesem schrecklichen und verderblichen Leben entflieht, wird eine andere sehr bald ihr Dasein für immer verändert vorfinden - das Leben dieser neuen
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